Lawinenunglück im Rahmen eines Kurzschulaufenthaltes

NJW-RR 1987, 370

BGB §§ 618 III, 844 I

Der zwischen dem Veranstalter eines Kurzschulaufenthaltes und den Eltern für das minderjährige Kind geschlossene Vertrag ist insgesamt als Dienstvertrag anzusehen, dem Schutzwirkung auch zugunsten der Eltern zukommt. (Leitsatz der Redaktion)

OLG München, Urteil vom 08.07.1986 - 13 U 4778/85

Zum Sachverhalt:

Die Kl. sind die Eltern des am 12. 7. 1964 geborenen und bei einem Lawinenunglück am 31. 1. 1982 in W./Österreich tödlich verletzten Schülers S. Das Unglück ereignete sich während einer von dem bekl. Verein veranstalteten Tour, an der S im Rahmen eines Kurzschulaufenthaltes teilgenommen hatte. Neben dem Sohn der Kl. sind damals neun weitere Schüler und drei Begleitpersonen dem Unglück zum Opfer gefallen, darunter auch der Bergführer und Gruppenleiter T. Die Gruppe hatte sich seit 29. 1. 1982 auf einer Hütte bei W. aufgehalten. Allgemein herrschte an diesem Tag bereits erhebliche Lawinengefahr, die sich bis 31. 1. 1982 ins Extreme steigerte. Dennoch brach der Bergführer T mit der Gruppe zu einer Wanderung auf, in deren Verlauf es dann zu dem Unglück kam. Bei Lawinengefahr war nach einer innerdienstlichen Anweisung des Bekl. eine Tour mit dem Schulleiter abzusprechen. Der Gruppenleiter hat zwar versucht, diesen telefonisch zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Die Kl. begehren von dem Bekl. Erstattung restlicher 5000 DM Beerdigungskosten.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg.
 

Aus den Gründen:

1. Der Bekl. hat den Kl. in entsprechender Anwendung der Vorschriften der §§ 618 III, 844 I BGB die Kosten der Beerdigung ihres Sohnes zu ersetzen, nachdem dieser als Teilnehmer eines Kurzschulaufenthaltes bei dem Bekl. zu Tode gekommen ist.

2. Der zwischen dem Sohn der Kl. und dem Bekl. geschlossene Vertrag über die Teilnahme am Kurs für die Zeit vom 23. 1. bis 5. 2. 1982 ist rechtlich als Dienstvertrag einzuordnen. In der Beschreibung des Bekl. über seine "Ziele, Absichten und Arbeitsweisen" heißt es zum Inhalt des Kurses, der Teilnehmer solle sich selbst und andere besser erleben, seine Freizeit sinnvoll gestalten; dazu wolle der Bekl. Angebote machen und Anregungen geben. Der Bekl. nennt den Kurs ein "Trainingsprogramm". Im Vordergrund des Vertrages stehen deshalb, auch wenn miet- und werkvertragliche Elemente mitenthalten sein mögen, die Betreuung, Anregung, Führung der Teilnehmer durch Angestellte des Bekl., also ganz überwiegend dienstvertragliche Elemente, so daß der Kurzschulvertrag insgesamt als Dienstvertrag anzusehen ist (vgl. BGH, NJW 1984, 2093 = FamRZ 1984, 868 f.; BGH, NJW 1985, 2585 = WM 1985, 780; Voelskow, in: MünchKomm, § 535 Rdnr. 30).

3. Der Einwand des Bekl., daß er nicht "Dienstberechtigter" i. S. des § 618 III BGB sei, trifft zu. Es kommt deshalb auch nicht eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift in Betracht, sondern nur eine entsprechende, die Schutzwirkung des schuldrechtlichen Vertrages zwischen dem Sohn der Kl. und dem Bekl. gegenüber den Kl. berücksichtigende Anwendung.

4. Der Kurzschulvertrag zwischen dem Sohn der Kl. und dem Bekl. besitzt in besonders starkem Maße einen "personenrechtli-

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chen Einschlag" (vgl. BGHZ 51, 91 (96) = NJW 1969, 269; BGHZ 56, 269 (271) = NJW 1971, 1931) nicht nur im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien und zwischen den Kl. und ihrem Sohn, sondern auch zwischen dem Bekl. und den Kl. Es ist offenkundig, daß ein Trainingsprogramm, das den Teilnehmern die körperlichen und seelischen Leistungsmöglichkeiten aufzeigen will, und zwar nicht auf dem einfachsten Weg, sondern dem schwierigeren (Kursbeschreibung des Bekl.), auch besonders hohe Risiken körperlicher und seelischer Art für den Teilnehmer birgt. Da es sich beim Sohn der Kl. um einen noch minderjährigen Kurzschulteilnehmer handelte, der noch in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern lebte, wie dies der Bekl. aufgrund der Kursanmeldung wußte, war der Kurzschulvertrag im Verhältnis zwischen dem Bekl. und den Kl. durch einen starken personenrechtlichen Einschlag geprägt. Die Kl. konnten erwarten, daß das Maß der Fürsorge für ihren Sohn den hohen Kursanforderungen und -risiken entsprach und daß sich diese Fürsorge auf sie als die noch stark mit ihrem bei ihnen lebenden Sohn verbundenen Eltern erstreckte. Die mit der Empfangnahme der Leistungen des Bekl. verbundenen Gefahren treffen nach der Anlage des Kurzschulvertrages die Kl. wegen der engen persönlichen Beziehung ähnlich wie deren Sohn, so daß die Kl. in dem eingeschränkten Maße der angesprochenen Haftung nach § 844 I BGB an dem Schuldverhältnis zwischen dem Bekl. und dem Sohn der Kl. teilnehmen (vgl. Gernhuber, in: Festschr. f. Nikisch, 1958, S. 270). Deshalb führt das personenrechtlich geprägte Innenverhältnis zwischen den Parteien zur Schutzwirkung zugunsten der Kl., mit der Folge, daß denen ein eigener vertraglicher Anspruch gegen den Bekl. zusteht.

5. Der Bekl. hat seine Vertragspflichten schuldhaft verletzt, weil der zu den Unglücksopfern zählende Gruppenleiter T entgegen einer innerdienstlichen Anweisung des Bekl. die Entscheidung über die Durchführung der beabsichtigten Tour, bei der es zum Lawinenunglück kam, nicht mit dem Leiter der Ausgangsschule des Bekl. abgestimmt hat; der Senat teilt diese Beurteilung durch das LG in vollem Umfang ... Dazu steht entgegen der Ansicht des Bekl. nicht in Widerspruch, daß die letztverantwortliche Beurteilung und verbindliche Entscheidung im Gelände dem sogenannten Stammlehrer oblag, weil das diesem vorzuwerfende Fehlverhalten zeitlich früher, nämlich vor Antritt der gefährlichen Tour lag. Dies hatte auch der mitverunglückte Lehrer T erkannt und deshalb (vergeblich) Kontakt mit dem Schulleiter aufzunehmen versucht. Die Absprache der Tour mit der Schulleitung bei der bestehenden großen Lawinengefahr war aber unverzichtbar und wurde durch das Hinterlassen einer telefonischen Mitteilung seitens des Lehrers T nicht ersetzt. Dessen Fehlverhalten muß sich der Bekl. nach § 278 BGB zurechnen lassen.

(Mitgeteilt von Rechtsanwalt W. Cimala, Köln)