Jamtalurteil des OLG München

OLG München, Urteil vom 24.1.2002 - Az: 8 U 2053/01
Abgedruckt in RRa 2002, 57 = NJW-RR 2002, 694 = SpuRt 2002, 117
Verfahrenfortgang Besprechungen des Urteils


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Das Urteil:
I. Tatbestand
II. Entscheidungsgründe
1. Haftung aus Reisevertrag (§ 651f BGB)
2. Haftung wegen Verletzung von Organisationspflichten (§ 823 BGB)
Die Links im Urteil gehören nicht zum amtlichen Text.
Die einschlägigen Rechtsvorschriften
Reiserechtliche Leitentscheidungen des BGH, die vom OLG zitiert werden:
Balkonsturz | Reitunfall


Leitsätze aus der Zeitschrift Reiserecht aktuell (RRa 2002, 57)
  1. Wird ein Skitouren-Urlaub im Katalog mit den Worten „sichere, sanfte Anstiege und Genussabfahrten“ beschrieben und kommt es gleichwohl zu einem Lawinenunfall, liegt ein Reisemangel vor. -> dazu
  2. Die Beweislastumkehr gemäß § 651 f Abs. 1 BGB ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass sich der Reiseveranstalter nur auf die in Art. 5 der EG-Pauschalreise-Richtlinie vorgesehen Entlastungsgründe stützen kann. -> dazu
  3. Der Reiseveranstalter ist dem von ihm zu führenden Entlastungsbeweis gemäß § 651 f Abs. 1 BGB bei einem Lawinenunglück nicht nachgekommen, wenn jedenfalls die Möglichkeit besteht, dass vorwerfbare Fehleinschätzungen und unsorgfältige Handlungsweisen der Bergführer mit zu dem Unfall beigetragen haben können. -> dazu
  4. Den Reiseveranstalter treffen deliktische Verkehrspflichten zum Schutz der Kunden, die auf der Reise entstehen können, auch bei Einschaltung selbständiger Leistungsträger in eigener Verantwortung. Dies gilt erst recht bei der Einschaltung von Verrichtungsgehilfen i.S.v. § 831 BGB. -> vgl. dazu
  5. Der Reiseveranstalter muss die für die Sicherheit der Teilnehmer erforderlichen Grundentscheidungen selbst treffen, indem er ein Sicherheitskonzept entwickelt, Standards setzt und klare Anweisungen trifft. Die Kontrolle über die Einhaltung derartiger Standards gehört zu seinen Organisationspflichten. - vgl. dazu
  6. Der Reiseveranstalter muss in Fachkreisen ernsthaft diskutierte Auffassungen, wonach geänderte Sicherheitsstandards notwendig seien, in seine Sicherheitsüberlegungen mit einbeziehen, auch wenn sie noch nicht zur h.M. geworden sind. -> vgl. dazu
  7. Der Reiseveranstalter muss die Teilnehmer einer Skitour über die wichtigsten Entscheidungsgrundlagen über die Durchführung der Tour, z.B. den Lawinenlagebericht, informieren. -> vgl. dazu

OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen: 8 U 2053/01
6 0 11871/00 LG München 1
Verkündet am 24.01.2002

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

S. [...]

- Klägerin und Berufungsklägerin -

[...]

gegen

Firma DAV Summit Club GmbH

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

[...]

wegen Schadensersatz

[S. 2]

erläßt der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Wendland-Braun und die Richter am Oberlandesgericht Kley und Werner aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6.12.2001 folgendes

Grund- und Endurteil

I . Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.12.2000 aufgehoben.

II. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes wegen des erlittenen Lawinenunfalls vom 28.12.1999 an der Jamtalhütte im Silvrettagebiet/Österreich ist dem Grunde nach gegeben.

III.-IX. [Entscheidung über entgangenen Unterhalt, Verdienstausfall, sonstige Schäden [S. 3] weitere Nebenentscheidungen]

[S. 4]

Tatbestand:

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Reiseveranstalterin nach dem am 28.12.1999 bei der Jamtalhütte im Silvrettagebiet/Österreich erlittenen Lawinenunfall geltend.

[Anm.: Zunächst werden die unstreitigen Tatsachen wiedergegeben]

Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft des Deutschen Alpenvereins und auf die Durchführung alpiner Skireisen, Ski- und Trekkingtouren spezialisiert. Im Oktober 1998 hat die Klägerin für sich und ihren Ehemann [...] für die Zeit vom 26.12.1999 bis 1.1.2000 eine geführte Skitouren- und Schneeschuhwanderwoche gebucht, wobei sie selbst am Schneeschuh-Wanderprogramm und ihr Ehemann am Skitourenprogramm teilnehmen wollte. Die Buchung erfolgte auf der Grundlage des Reisekatalogs der Beklagten, worin diese zum Millennium 2000 Sylvesterpartys auf der Jamtalhütte/Silvretta und auf einer anderen Hütte in den Stubaier Alpen im Rahmen einer jeweils kombinierten Skitouren- und Schneeschuh-Wanderwoche angeboten hat. Als Leistungen waren insoweit gemäß Katalog sechs Übernachtungen, Halbpension mit Sylvestermenü, Durchführung einer Sylvesterparty, Auffahrt zur Jamtalhütte am Anreisetag, Gepäcktransport und das Stellen von DAV Summit Club-Bergführern vorgesehen. Das Programm beinhaltete gemäß Katalogbeschreibung verschiedene Aufstiege zu in der Nähe der Jamtalhütte gelegenen Berggipfeln. Gemäß Katalog sollte es sich um "sichere, sanfte Anstiege und Genußabfahrten mit täglichen Gehzeiten von 3 bis 5 Stunden" handeln (Anlage K 1). Als Reisepreis bezahlte die Klägerin für sich und ihren Ehemann zusammen 2.570,-- DM.

Wie im Reiseprogramm vorgesehen, wurden die insgesamt 39 Teilnehmer der Tourentage am 26.12.1999 mit der Schneeraupe von Galtür zur Jamtalhütte gefahren. Am 27.12.1999 unternahmen die drei österreichischen Bergführer L., S. und P. und die zwei deutschen Bergführer Dr. G. und B. in fünf Gruppen eine Eingehtour zum sogenannten Finanzerstein. Während die zwei Skigruppen das Ziel erreichten, kehrten die drei Schneeschuh-Gruppen wegen ungünstiger Wetterverhältnisse zur Hütte zurück, ohne den Finanzerstein zu erreichen. Der Lawinenwarndienst Tirol

[S. 5]

hatte am 27.12.1999 die Gefahrenstufen drei (erheblich) und vier (groß) auf der fünfteiligen europäischen Lawinengefahrenskala ausgegeben und u.a. gemeldet, daß bei außergewöhnlich stürmischen Westwinden in der Silvretta bis 40 cm Neuschnee gefallen seien, die orkanartigen Winde hätten dabei zum Teil extreme Windverfrachtungen verursacht. Skitouren würden großes lawinenkundliches Beurteilungsvermögen erfordern, hochalpine Tourenziele sollten generell ausgespart bleiben. Die Landeswarnzentrale Vorarlberg hatte die Stufe drei und das Nationale Lawinenbulletin der Schweiz hatte ebenso Lawinenwarnstufe drei ausgegeben (Gutachten des Sachverständigen Larcher, Anlage B 2, Seite 13/14). Die örtliche Lawinenkommission hatte den Zugang durch das Jamtal an diesem Tag gesperrt.

Am Morgen des 28.12.1999 entschlossen sich die fünf Bergführer zur Durchführung einer Tour mit allen Teilnehmern auf den Rußkopf. Der Lawinenlagebericht für den 28.12.1999, ausgegeben vom Lawinenwarndienst Tirol (Anlage K 6) um 7.30 Uhr, meldete "erhebliche und große Lawinengefahr". Dort hieß es: "In den Tiroler Tourengebieten herrscht überwiegend erhebliche Lawinengefahr. Im Raum Arlberg/Außerfern, der Silvretta und den Nordalpen ist die Gefahr als groß einzustufen. Die Tourenmöglichkeiten sind derzeit eingeschränkt und erfordern Erfahrung in der Beurteilung der Lawinensituation. Eine Schneebrettauslösung ist schon durch eine Einzelperson in steilen Hängen aller Expositionen möglich!". Die Landeswarnzentrale Vorarlberg gab die Lawinenwarnstufe drei aus, das Schweizer Lawinenbulletin ebenfalls die Stufe drei. Gegen 9.00 Uhr vormittags starteten die fünf Gruppen mit jeweils einem Bergführer (drei Schneeschuh- und zwei Skitourengruppen) die Tour zum Rußkopf. Dabei querten sie zunächst, schräg abwärtsgehend bzw. fahrend, einen nach Nordwesten exponierten Hang, dessen Steigung teilweise mehr als 35 Grad beträgt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Larcher (Anlage B 2, Seite 20/21) beträgt die Hangneigung im hüttennahen Bereich ca. 30 Grad und nimmt dann weiter südlich auf ca. 40 Grad zu, wobei in den steileren Hangbereich eine ca. 30 m breite Rinne eingebettet ist, die nach unten auf einen leicht ausgeprägten Buckel hin ausläuft. Die stärkste Hangneigung beträgt 41 Grad (Seite 21 des Gutachtens). Nach dem Erreichen des Talbodens stiegen die Gruppen von dort aus zum Rußkopf auf. Nach mehrstündigem Aufstieg entschlossen sich die Bergführer wegen der Verschlechterung des Wetters zum vorzeitigen Abbruch der Tour. Bei der Rückkehr zur Jamtalhütte folgten zwei Schneeschuh-Gruppen, geführt

[S. 6]

von den beiden deutschen Bergführern, den übrigen drei Gruppen (zwei Ski- und eine Schneeschuh-Gruppe); diese geführt von den drei österreichischen Bergführern, nach. Die Bergführer L., S. und P. entschlossen sich beim Anstieg zur bereits in Sichtweite gelegenen Jamtalhütte den oben beschriebenen Hang wiederum auf der Spur zu queren, die man bereits am Morgen - dabei abfährtsfahrend bzw. - gehend - gelegt hatte. Die drei Bergführer gingen voran, die Teilnehmer der drei Gruppen folgten ihnen, ohne daß sie zu diesem Zeitpunkt Entlastungsabstände einhielten und wobei sie pulkartig in der Gruppe gingen. In einer Entfernung von nur noch etwa 250 m zur Jamtalhütte löste sich ca. 75 m oberhalb der Tourengruppe in dem Nordwesthang eine Schneebrettlawine und riß die hinter den Bergführern gehenden Teilnehmer der drei Gruppen mit sich. Dabei wurden 14 Personen, darunter die Klägerin und ihr Ehemann, verschüttet. Trotz der sofort eingeleiteten Rettungsmaßnahmen konnten neun Personen - darunter der Ehemann der Klägerin - nur noch tot geborgen werden. Die Klägerin selbst wurde nach etwa einer Stunde mit Verletzungen, deren Umfang zwischen den Parteien streitig ist, lebend geborgen Sie konnte wegen der schlechten Wetterverhältnisse erst am Folgetag per Hubschrauber nach Landeck/Tirol ausgeflogen und dort medizinisch versorgt werden.

Im Strafverfahren vor dem Landesgericht Innsbruck/Österreich (Az.: 39 EVr 3527/99 - 39 Hv 85/00; Anlage K 15) wurden die österreichischen Bergführer L., S. und P., gegen die Anklage wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung erhoben worden war, rechtskräftig freigesprochen. Im dortigen Verfahren hat das Landesgericht Innsbruck das Gutachten des Sachverständigen Larcher vom 23. Juni 2000 (Anlage B 2) erholt. Dieses Gutachten und die Ausführungen des Sachverständigen Larcher in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck haben die Parteien zum Gegenstand ihres Sachvortrages gemacht (die Beklagte: Bl. 69, 109 d. A., Schriftsätze vom 06.10.2000 und vom 27.10.2000).

[Anm.: Ab hier folgen die streitig gebliebenen Behauptungen der Parteien, die im Konjunktiv I (habe, sei, ...) referiert werden.]

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die schon am Vortag erhebliche Lawinengefahr habe sich am 28.12.1999 wegen der starken Schneefälle noch erhöht und sei vom Lawinenwarndienst als groß bezeichnet worden. Eine Parallelveranstaltung der Beklagten auf einer Hütte im Stubaital sei

[S. 7]

auch folgerichtig wegen der hohen Lawinengefahr abgesagt worden. Wegen der besonderen Lawinengefahr um diese Jahreszeit sei die Jamtalhütte üblicherweise auch von Weihnachten bis Mitte Februar geschlossen, worüber die Beklagte nicht informiert habe, ebensowenig darüber, daß sich in der Umgebung der Jamtalhütte schon mehrere Lawinenunglücke ereignet hätten. So habe die Beklagte auch nicht darüber informiert, daß die Hütte noch im Februar 1999 von zwei Lawinen beschädigt worden sei. Wäre die Klägerin zutreffend informiert worden, hätte sie mit ihrem Ehemann von der Tourenwoche Abstand genommen. Zwar sei der Klägerin und ihrem Ehemann bewußt gewesen, daß sich bei Touren im Hochgebirge die Lawinengefahr nie gänzlich ausschalten lasse. Durch die Reisebeschreibung im Reiseprospekt und im Vertrauen auf die Seriosität und Erfahrenheit des Reiseveranstalters und seiner Bergführer- hätten sie jedoch geglaubt, dieses Restrisiko - soweit möglich - auf ein Minimum reduziert zu haben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse sich das Verschulden ihrer Bergführer bei der Durchführung der Tour am 28.12.1999 zurechnen lassen, durch das das Lawinenunglück verursacht worden sei. Auf Grund der vom Lawinenwarndienst Tirol ausgegebenen Lawinenwarnstufe vier (groß) hätte der Unglückshang von den Bergführern der drei verunglückten Tourengruppen im Anstieg zur Jamtalhütte nicht gequert werden dürfen. Unstreitig betrage die Hangneigung an der steilsten Stelle 41 Grad. Für die Beurteilung der Hangneigung sei die steilste Stelle im Hang maßgeblich, nicht, in welchem Bereich der Hang begangen werde. Auf Grund dieser Hangneigung hätte der Unfallhang von den Bergführern angesichts der vom Lawinenwarndienst Tirol ausgegebenen Warnstufe vier bei Anwendung der sogenannten "Munter-Methode" zur Beurteilung der Lawinengefahr nicht begangen werden dürfen. Danach dürfe bei Lawinenwarnstufe vier nur mäßig steiles Gelände - bis 30 Grad - begangen werden, bei Stufe drei nur solches bis maximal 40 Grad Hangneigung. Die Reduktionsmethode Munters stelle eine allgemein anerkannte Lehrmeinung, z.B. im Deutschen Skiverband, dar. Selbst die Beklagte habe in ihrem Katalog für 2001 Lawinenkurse mit Lawinenkunde nach Werner Munter angeboten. Außerdem seien ihre Bergführer in der Munter-Methode geschult worden. Die Bergführer hätten weder den Lawinenlagebericht am Morgen des Unfalltages eingeholt noch die Gruppenteilnehmer über die Lawinenlage informiert und keinerlei Entlastungsabstände

[S. 8]

beim Queren des Unfallhangs, wie sie aber erforderlich seien, angeordnet. Die Begehung des Hanges sei auch nicht zwingend notwendig gewesen. Durch einen nahezu unbedeutenden Umweg von nur fünf Minuten Gehzeit über den Talboden hätte man das Lawinenrisiko vermeiden können.

Die Klägerin hat weiter erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Reiseveranstalterin verpflichtet, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihr zumutbar seien, um ihre Kunden vor Schäden zu bewahren. Dazu hätten auch konkrete Anweisungen an die Bergführer gezählt, die genannten Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten. Die fehlende Unterweisung der Bergführer stelle ein Organisationsverschulden der Beklagten dar.

[Darstellung der Verletzungen der Klägerin etc.]

[S. 9]

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld [...] zu bezahlen,

[Feststellungsanträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens ...]

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat bestritten, für das Lawinenunglück verantwortlich zu sein. Wenn sie auch im "formalrechtlichen Sinne" als Reiseveranstalterin zu qualifizieren sei, so handele es sich bei ihr doch um eine Bergsteigerschule. Das von Bergsteigerschulen angebotene kommerzielle Bergsteigen unter Leitung eines Bergführers werde entscheidend von der Aufgabenverteilung zwischen der Bergsteigerschule und dem Bergführer geprägt. Die Bergsteigerschule

[S. 10]

sei für die sachgerechte Programmausschreibung und die Auswahl und Überwachung geeigneter Bergführer verantwortlich, während der von der Bergsteigerschule eingesetzte Bergführer vor Ort ausschließlich und allein für die sachgerechte Programmdurchführung sowie gegebenenfalls auch für eine entsprechende Programmänderung oder auch Programmabsage verantwortlich sei. Bevor die Sylvesterwoche 1999/2000 auf der Jamtalhütte angeboten worden sei, habe die Beklagte eine genaue Prüfung dahingehend durchgeführt, ob der gewählte Tourenzeitpunkt auf dem Stützpunkt Jamtalhütte aus Sicherheitsgründen vertretbar sei. Die Überprüfung habe ergeben, daß keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Programmansetzung zum fraglichen Zeitpunkt gesprochen hätten. Im übrigen habe der im Rahmen des Strafverfahrens vor dem Landesgericht Innsbruck tätige Gutachter Larcher auch eindeutig bestätigt, daß der Programmzeitpunkt sowie der Stützpunkt Jamtalhütte nicht zu beanstanden gewesen seien. Die Programmausschreibung sei in enger Abstimmung mit der Familie des Hüttenwirts Lorenz erfolgt. Für den Bereich der Jamtalhütte gebe es wohl keine besseren Gebietskenner als die Familie Lorenz, die seit Jahrzehnten die Jamtalhütte als verantwortlicher Wirt betreibe.

Die mit der Durchführung der Programme auf der Jamtalhütte in der Sylvesterwoche beauftragten Bergführer seien bis auf den Bergführeranwärter B., der aber ebenfalls das Gebiet der Jamtalhütte eingehend aufgrund mehrwöchiger eigener Führungs- und Ausbildungstätigkeit gekannt habe, absolute Fachleute mit ausgewiesenen zum Teil jahrzehntelangen Gebietserfahrungen gerade im Bereich der Jamtalhütte. Insbesondere die drei Tiroler Bergführer L., S. und P. seien absolute Gebietskenner und der Beklagten darüberhinaus als zuverlässige und vertrauenswürdige Bergführer bekannt. Keiner der fünf Bergführer habe bisher einen einzigen Unfall im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung zu verzeichnen. Die Beklagte habe darüberhinaus auch die Führungsleistungen der Bergführer, insbesondere der drei österreichischen Bergführer, in der Vergangenheit stets einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen. Diese Bergführer hätten auch an Fortbildungsmaßnahmen der Beklagten teilgenommen. Allerdings stehe dem Bergführer das alleinige Entscheidungsrecht zu, über die Programmdurchführung zu disponieren, da er allein in der Lage sei, die Verhältnisse. vor Ort und das Leistungsvermögen der Teilnehmer einzu-

[S. 11]

schätzen und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Der Bergführer unterliege ab dem Zeitpunkt des Zusammentreffens mit seiner Gruppe keinen sicherheitsrelevanten Weisungen der Bergsteigerschule mehr, da diese aus naheliegenden Gründen keine Möglichkeit habe, von ihrem Verwaltungssitz aus die konkreten Verhältnisse vor Ort im Gebirge zu beurteilen. Nach sachgerechter Würdigung aller Umstände, wobei auch der Hüttenwirt L. in die Planung mit einbezogen worden sei, seien die Bergführer am Abend des 27.12.1999 zu dem Ergebnis gekommen, daß am nächsten Tag die Tour zum 2693 m hohen Rußkopf durchgeführt werden könne, wobei diese Planung unter dem Vorbehalt der weiteren Wetterentwicklung während der Nacht sowie des Wetterberichts am 28.12.1999 frühmorgens gestanden habe. Am Morgen des 28.12.1999 habe es nicht geschneit und es sei weitgehend windstill gewesen, darüberhinaus habe gute Sicht geherrscht, woraufhin sich die Gruppen entschlossen hätten, zum geplanten Tourenziel Rußkopf aufzubrechen. Aufgrund der Geländestruktur des Hanges, der starken Durchsetzung des Hanges mit großem Blockwerk, der verhältnismäßig geringen Schneehöhe im Hang sowie der Konsistenz des Neuschnees, der sich als lokker und ungebunden dargestellt habe, seien die Bergführer unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, daß der spätere Unfallhang nicht als lawinengefährlich einzuschätzen sei, weswegen er nach dem Verlassen der Hütte gequert worden sei.

Beim daran anschließenden Aufstieg in Richtung Rußkopf habe sich das Wetter ab einer Höhe von ca. 2500 m so stark verschlechtert, daß sich die einzelnen Gruppen nur wenig unterhalb des Rußkopfes zur Umkehr entschlossen hätten. Bei der Rückkehr in den ca. 2200 m hoch gelegenen Jamtalgrund habe der Wind im geschützten Tal stark nachgelassen und sich die Sicht zunehmend verbessert. Über die alte Spur seien die Gruppen wieder zurück in Richtung Hütte gegangen. Aufgrund einer erneuten Prüfung hätten die drei österreichischen Bergführer vor der neuerlichen Querung des Hangs die Einschätzung gewonnen, daß sich die Verhältnisse gegenüber der ersten Querung am Vormittag nunmehr gegen 14.30 Uhr nicht verändert hätten. Nachdem schon die drei österreichischen Bergführer sowie sechs weitere Teilnehmer den Hang problemlos auf der alten Spur gequert hätten, sei es zu einem für alle Beteiligten völlig unvorhersehbaren und absolut lautlosen Schneebrettabgang gekommen, wovon 14 Teilnehmer, die vollständig verschüttet worden seien,

[S. 12]

erfaßt worden seien.

Dieser Schneebrettabgang könne nur als schicksalhaftes Unfallereignis und nicht als Folge eines schuldhaften Fehlverhaltens der Bergführer qualifiziert werden. Die Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, auch ihr gegenüber sei kein Vorwurf eines irgendwie gearteten Organisationsverschuldens zu erheben. Weder sei die Durchführung des angebotenen Programms auf der Jamtalhütte im Hochwinter zu beanstanden, noch sei es erforderlich gewesen, daß die Beklagte eine entsprechende Sicherheitsanweisung an ihre Bergführer hätte erlassen müssen, lawinengefährdete Zonen zu meiden. Dies sei eine Selbstverständlichkeit, auf die die Bergführer nicht hätten gesondert hingewiesen werden müssen. Für die Beklagte habe auch keine Veranlassung bestanden, die Tourenwoche abzusagen. Die Wetterlage am 26.12.1999 habe keinen Grund zu der Annahme gegeben, daß das gesamte Programm nicht durchgeführt werden könne. Die Absage der Parallelveranstaltung der Beklagten auf der Hütte in den Stubaier Alpen, die erst am 29.12.1999 habe beginnen sollen, sei wegen des tragischen Unfallereignisses an der Jamtalhütte erfolgt.

Die Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, eine alleinige Einschätzung der Lawinengefahr auf der Grundlage der Lawinenwarnstufe sowie der Hangsteilheit sei nicht möglich und entspreche auch nicht der herrschenden Lehrmeinung. Der Bergführer sei immer darauf angewiesen, eine Einzelfallbeurteilung eines Hangs vor Ort vorzunehmen. Im Rahmen dieser Einzelfallbeurteilung müsse er sämtliche Faktoren berücksichtigen, die für eine mögliche Lawinengefahr von Bedeutung sein könnten. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht in Innsbruck habe der Sachverständige Larcher auch den im schriftlichen Gutachten erhobenen Vorwurf der fehlenden Entlastungsabstände zurückgenommen und ausgeführt, es lasse sich nicht nachvollziehen, ob die Einhaltung von Entlastungsabständen den Schneebrettabgang verhindert hätte, da nicht einmal festgestellt werden könne, ob das Schneebrett von der Gruppe ausgelöst worden sei oder ob es sich um eine von der Gruppe unbeeinflusste Selbstauslösung gehandelt habe. Die von der Klägerin vorgetragenen Verletzungen sowie unfallbedingten sonstigen Beeinträchtigungen hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten.

[S. 13]

[ Zur Höhe des Schadens ]

Das Landgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9.11.2000 den stellvertretenden Geschäftsführer der Beklagten Härter informatorisch angehört (Bl. 111/113 d. A.). Es hat die Klage insgesamt abgewiesen. Der Beklagten sei kein Organisationsfehler vorzuwerfen, der zum Tod des Ehemannes und zu den Verletzungen der Klägerin geführt habe. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Larcher im Strafverfahren erscheine der Vorwurf gegenüber der Beklagten unbegründet, durch die Ausnahmeöffnung der Jamtalhütte über Sylvester eine besondere Gefahrenlage geschaffen zu haben. Die ansonsten übliche Schließung der Hütte ab Weihnachten bis etwa Mitte Februar beruhe nach den Ausführungen des Sachverständigen auf wirtschaftlichen Überlegungen, während die Hütte z.B. in den 50-er Jahren von Weihnachten an durchgängig geöffnet gewesen. sei. Abgesehen davon lasse sich kalendermäßig kein Zeitraum im Winter festlegen, in dem eine größere oder geringere Lawinengefahr bestehe. Die letzten Lawinenunglücke im Bereich der Jamtalhütte hätten sich denn auch im März 1988, am 28.2.1997 und im Februar 1999 ereignet, also gerade nicht zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Beschädigung der Hütte im Februar 1999 durch zwei Staublawinen habe die Beklagte nicht zu einer Absage der Tourenwoche veranlassen müssen. Auch die konkrete ungünstige Wetterlage ab dem 26.12.1999 habe keine Veranlassung zur Absage gegeben. Es sei auch kein Verbot erforderlich gewesen, ab dem 27.12.1999 Touren zu unternehmen. Ob trotz hoher Lawinengefahr ab dem 27.12.1999 Touren hätten gegangen werden können, sei der Einschätzung der Bergführer vorzubehalten gewesen. Die Beklagte habe aufgrund der allgemeinen Wetter- und Lawinenlageberichte von München aus nicht beurteilen können, ob die Verhältnisse um die Jamtalhütte einen einstweiligen Verzicht auf Touren erforderlich gemacht hätten; Die Beschreibung der Tourenwoche im Prospekt der Beklagten (Anlage K 1) mit "sichere, sanfte Anstiege", sei zwar falsch. Indessen habe die Beklagte aber in Nr. 10 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die in den winterlichen Bergen nie auszuschließende Lawinengefahr hingewiesen und ihre Haftung dafür ausgeschlossen. Die Lawinengefahr sei überdies der Klägerin und deren

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Mann bekannt gewesen. Damit komme der falschen Prospektanpreisung im Zusammenhang mit dem Unglück keine Bedeutung zu. Auch über § 831 BGB ließen sich die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht begründen. Zwar seien die Bergführer Verrichtungsgehilfen der Beklagten, weil sie die Touren im Auftrag der Beklagten ausgeführt hätten. Indessen bestehe die Ersatzpflicht der Beklagten gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB deshalb nicht, weil die Beklagte bei der Auswahl der Bergführer die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe: Ein Auswahlverschulden könne der Beklagten nicht vorgeworfen. werden. Schließlich stünden der Klägerin auch keine vertraglichen Ansprüche gemäß  § 651 f  BGB auf Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden zu, wie sie im Klageantrag III geltend gemacht würden. Die Beklagte habe ihre Haftung für Schadensfälle, die auf typischen alpinen Gefahren beruhten, in zulässiger Weise in Nr. 10 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeschlossen. Der Ausschluß sei nur dann gemäß § 11 Nr. 7 AGBG unwirksam, wenn die Bergführer ihre Sorgfaltspflichten grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt hätten, was jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall sei: Die Lawinenlagebeurteilung der Bergführer sei für den Morgen des 28.12.1999 zutreffend gewesen. Zwar dürfte die Belastung der Schneedecke durch den Pulk der Tourengeher das Schneebrett ausgelöst haben und bei Anordnung von Sicherheitsabständen das Unglück möglicherweise vermeidbar gewesen sei. Jedoch sei im Gutachten im Strafverfahren zur Überzeugung der Kammer zutreffend ausgeführt worden, daß die besondere Situation am Ende der Tour eine psychologisch entspannende Wirkung gehabt habe. Nach der Abfahrt unter widrigen Witterungsbedingungen sei es verständlich, daß wegen der verführerischen Nähe der Hütte die ansonsten bei den Bergführern eingeprägten Sicherheitsvorstellungen überdeckt worden seien. Diese Nachlässigkeit könne nach Auffassung der Kammer nicht als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden.

Mit ihrer gegen dieses Endurteil eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin ihren Sachvortrag erster Instanz. Durch die Art der Präsentation der Skitourenwoche im Katalog der Beklagten ("....sichere, sanfte Anstiege und Genußabfahrten") sei bei der Klägerin der Eindruck entstanden, daß das Tourengebiet sowie die von der Beklagten gehandhabte Tourendurchführung eine nach menschlichem Ermessen größtmögliche Lawinensicherheit böten. Dies habe die Klägerin erst recht für das Schneeschuhprogramm annehmen

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dürfen, zumal sich dieses noch verstärkt an Anfänger ohne Erfahrung gerichtet habe und nach dem Programm überwiegend die selben Tagesziele angegeben worden seien. Die Reiseteilnehmer hätten auch über die Beschädigung der Jamtalhütte im Februar 1999 informiert werden müssen. Die Klägerin habe bereits im Oktober 1998 gebucht. Bei Kenntnis des Lawinenabgangs auf die Jamtalhütte hätte sie die Reise nicht angetreten. Vom Reiseveranstalter sei unaufgeforderte Information über Sicherheitsbeeinträchtigungen geschuldet. So hätten die Klägerin und ihr Ehemann bei Information über die Lawinenwarnstufe vier die Tour zum Rußkopf niemals unternommen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz das Privatgutachten des schweizer Sachverständigen Kindschi vom 21.4.2001 (Anlage K 17) vorgelegt, wonach der Beklagten verschiedene Organisationsmängel zur Last zu legen seien. So sei ihr vorzuwerfen, daß es keinen gesamtverantwortlichen Bergführer für alle Gruppen und kein Weisungsrecht gegenüber seinen Berufskollegen gegeben habe. Dies habe die unstrukturierte Lawinengefahrbeurteilung der Bergführer begünstigt und sei so für das Unglück mitursächlich gewesen. Das Programm sei darauf angelegt gewesen, daß sich die verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen hätten, was im Endeffekt dann auch soweit gegangen sei, daß alle Gruppen gemeinsam, pulkartig den Aufstieg zur Hütte über den Unfallhang angetreten hätten.

Zwingend zu beachtende Sicherheitsstandards würden erst jetzt nachträglich durch die Beklagte gegenüber ihren Bergführern verfügt. So seien in einer Zusammenfassung der Gesprächsergebnisse einer Expertenrunde auf der Jamtalhütte vom September 2000 nunmehr ab Ende 2000 die als Anlage K 18 vorgelegten verbindlichen Standards im Winter von den Bergführern zu beachten. Danach sei u.a. täglich der Lawinenlagebericht einzuholen, es seien die Kunden rechtzeitig zu informieren und es seien Limits (verbindliche Obergrenzen) für die Hangbegehung (bei Stufe drei = erheblich: weniger als 40 Grad/bei Stufe vier = groß: weniger als 30 Grad) zu beachten. Bei Geltung derartiger Limits bereits am 28.12.1999 hätte der Unglückshang nicht mehr gequert werden dürfen, da er an der steilsten Stelle unstreitig eine Neigung von 41 Grad aufweise und somit sogar schon ab Stufe drei nicht mehr hätte begangen werden dürfen. Auch bei Einhaltung eines ausreichenden Abstands in und zwischen den Gruppen bei der Hangquerung, bei

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deren Beachtung es wegen der Entlastung der Schneedecke nicht zu einem Lawinenabgang gekommen wäre, sei der Unfall zu vermeiden gewesen. Unter dem Punkt ,,Kommunikation unter den Bergführern" gemäß Anlage K 18 werde dieses Kriterium nunmehr verlangt. Die Beklagte habe auch noch vor dem Unglück, am 27. oder 28.12.1999 die Anreise einer für den 29.12.1999 erwarteten zweiten Reisegruppe zur Jamtalhütte abgesagt. Dies bedeute, daß die Beklagte sehr wohl von München aus die Lawinensituation im Tourengebiet habe beurteilen können und die notwendigen Entscheidungen habe treffen können. Durch die Sperrung des Zustiegs zur Jamtalhütte sei diese von der Außenwelt abgeschnitten und nur noch aus der Luft erreichbar gewesen. Die konkreten Wetterverhältnisse am 28.12.1999 unmittelbar nach dem Lawinenunglück hätten gezeigt, daß selbst eine Luftrettung der Opfer aufgrund der vorherrschenden Wetterverhältnisse tatsächlich nicht möglich gewesen sei. Erst am Nachmittag des 29.12.1999 hätten die Wetterverhältnisse einen Hubschrauberstart zur Jamtalhütte zugelassen, so daß auch die Klägerin habe ausgeflogen werden können.

Der stellvertretende Geschäftsführer der Beklagten H. habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Strafgericht in Innsbruck eingeräumt, während der gesamten Tourendurchführung mit den Bergführern keinen Kontakt gehabt zu haben sondern lediglich mit dem Hüttenwirt. Bei den ihr möglichen Erkundigungen hätte aber die Beklagte festgestellt, daß die Bergführer weder am 27. noch am 28.12.1999 den Lawinenlagebericht eingeholt hätten. Tatsächlich seien die Bergführer nach eigenem Gutdünken vorgegangen. Mangels hinreichender Darlegung konkret durchgeführter, unangekündigter, verdeckter Kontrollen gegenüber ihren Bergführern könne sich die Beklagte auch nicht exkulpieren. Bereits bei ihrem Durchführungsentscheid am Morgen des Unfalltags seien den Bergführern Fehler unterlaufen. In der Nacht zuvor habe es nochmals geschneit, Warnhinweise auf Wetterverschlechterung für den Nachmittag des 28.12.1999 seien ignoriert worden. Der nicht einsehbare Hang habe bei der Rückkehr und dem Wiederaufstieg zur Hütte nicht gequert werden dürfen, der Umweg durch den Talboden sei nur zehn Minuten länger gewesen. Die kritische Neuschneezunahme von 40 cm habe beachtet werden müssen sowie erfolgte Verwehungen durch einen Schneesturm. Die Rinne im Hang, wo sich die Lawine ausgelöst habe, sei den Bergführern bekannt gewesen, die Aufladung dort mit Triebschnee sei voraussehbar gewesen.

[S. 17]

Die Hangbelastung am Nachmittag sei gegenüber dem Morgen durch das pulkartige Gehen und den Neuschnee um ein Vielfaches höher gewesen. Das inakzeptable Restrisiko für die Bergführer sei zumindest bei Anwendung der "elementaren Reduktionsmethode" nach Munter erkennbar gewesen. Diese laute, daß bei Gefahrenstufe vier nur Hänge mit steilster Hangneigung unter 30 Grad begangen werden dürften, bei Gefahrenstufe drei nur solche mit steilster Hangneigung unter 35 Grad. Demnach habe der Unfallhang mit seiner steilsten Neigung von 41 Grad somit schon bei Warnstufe drei nicht gequert werden dürfen; selbst die Bergführer seien jedoch am 28.12.1999 von Stufe drei bis vier ausgegangen.

Die Reduktionsmethode von Munter sei bereits 1991 vorgestellt worden, die Bergführer der Beklagten seien in dieser Methode ausgebildet worden und die Beklagte habe Lawinenkurse nach Munter abgehalten. Anerkannte Methoden wie z.B. die Stop-or-Go-Methode nach Larcher und die SNOWCARD von Engler (neue offizielle Lehrmeinung des DAV) bauten auf der Reduktionsmethode auf. Sie stelle auch eine anerkannte Lehrmeinung im Deutschen Skiverband dar. Zumindest handele es sich um eine seit zehn Jahren immer mehr im Vordringen befindliche Lehrmeinung, deren Beachtung das Unglück unzweifelhaft verhindert hätte.
 

Die Klägerin beantragt nunmehr:

I. Das Urteil des Landgerichts München 1 vom 21.12.2000 aufzuheben,

II. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld [...] zu bezahlen,

III.-VI. [Weitere Anträge, insbesondere Feststellungsanträge für weitere Schadenspositionen]

[S. 18]

Die Beklagte beantragt nunmehr,

          die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag erster Instanz. Das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten des Sachverständigen Kindschi sei unbrauchbar. Die dortigen Feststellungen würden bestritten. Das Gutachten enthalte unzureichende Differenzierungen, Mutmaßungen und Spekulationen. Der Gutachter habe auch keinen zeitnahen Ortstermin durchgeführt. Am Morgen des Unglückstages habe kein Schneefall geherrscht. Zur Zeit des Abmarsches von der Hütte hätten gute Sichtverhältnisse und Windstille bestanden. Es habe keine Veranlassung gegeben, von der Tour Abstand zu nehmen. Der Lawinenlagebericht enthalte eine nur beschränkte Aussagekraft für ein konkretes Tourenziel. Der in Innsbruck zentral erstellte Bericht sei nicht in der Lage gewesen, differenziert auf die Verhältnisse im Jamtal bzw. am Rußkopf einzugehen. Die Bergführer hätten sich ein viel genaueres Bild vor Ort machen können. Aufgrund der geographischen Gegebenheiten seien die Wetterverhältnisse in der Silvretta eher mit denen im Engadin vergleichbar. Der Wetterbericht für das Engadin für den 28.12.1999 sei aber durchaus als positiv zu bewerten gewesen. Die Bergführer hätten wegen der vergleichbaren Tourenverhältnisse und wegen Fehlens signifikanter Neuschneemengen oder Windeinwir-

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kungen von den Tourenverhältnissen wie auf der Tour vom 27.12.1999 zum Finanzerstein für den 28.12.1999 ausgehen können. Den Bergführern sei die Wettervorhersage des schweizer Wetterberichtes bekannt gewesen sowie die Gefahrenstufe des Tiroler Lawinenlageberichts. Daß sie gleichwohl das telefonische Abhören des Lawinenlageberichts unterlassen hätten, sei nicht als geringes Interesse der Bergführer an diesen von Profis mit viel Zusatzinformation erstellten Berichten zu qualifizieren, sondern die logische Folge der beschränkten Aussagekraft und des eingeschränkten lnformationsgehalts des Lawinenlageberichts für den Standort Jamtalhütte. Die zusammenfassende Feststellung des Gutachters Kindschi, die Bergführer hätten in der Phase des Durchführungsentscheids unsorgfältig gearbeitet, müsse mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden und werde auch vom Gutachter Larcher in keiner Weise bestätigt.

Zur Verdeutlichung der Geländestrukturen sowie der Schneehöhen zum Unfallzeitpunkt werde auf die als Anlagen B 12 bis B 14 beigefügten Lichtbilder verwiesen. Diese seien am 12.1.2000 aufgenommen worden. Die Schneefälle hätten am 30.12.1999 geendet, bis 12.1.2000 seien keine weiteren Niederschläge mehr zu verzeichnen gewesen. Aus diesen Lichtbildern ergebe sich die räumliche Distanz der Aufstiegsspur zu der Mulde, in der sich - etwa 75 Höhenmeter und mehr als 200 Entfernungsmeter oberhalb der Aufstiegsspur - das spätere Schneebrett gelöst habe und die verfänglich wirkende geringe Schneehöhe. Die Tourendurchführung sei vom Beginn bis zum Unfallereignis unter wohlgeordneten und absolut kontrollierten Verhältnissen erfolgt, eine Streß-Situation habe insbesondere auch nicht zu dem Zeitpunkt geherrscht, als sich die Gruppen vor dem späteren Unfallhang bei der Rückkehr vom Rußkopf wieder gesammelt hätten, um die Felle wieder aufzuziehen. Vielmehr habe eine entspannte Atmosphäre geherrscht, die Teilnehmer hätten sich auf den Wiederaufstieg vorbereitet. Es sei zutreffend, daß der Umweg zur Hütte über den flachen Talboden nur mit einem geringen zeitlichen Mehraufwand verbunden gewesen wäre, für die Bergführer habe aber die kürzere Hangquerung auch nicht im Ansatz ein Gefahrenpotenzial erkennen lassen. Die Hangquerung am Vormittag, die nicht einmal vier Stunden zuvor ohne Probleme erfolgt sei, habe einen starken Vertrauenstatbestand geschaffen, zumal sich aufgrund der Einschätzung der Wetter- und Geländeverhältnisse am Unfallhang keine erkennbaren Änderungen im Vergleich zum

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Vormittag ergeben hätten. Die Tatsache, daß die erneute Hangquerung auf dem Rückweg von insgesamt neun Personen zunächst erneut problemlos habe bewältigt werden können, bevor es dann letztendlich zu dem Schneebrettabgang gekommen sei, belege auf eindrucksvolle Weise, wie unberechenbar sich der Unfallhang dargestellt habe.

Ein Organisationsverschulden könne der Beklagten nicht zur Last gelegt werden. Der Sachverständige Kindschi statuiere absolut unübliche und in keiner Weise auch nur im Ansatz einem allgemeinen Standard entsprechende Organisationspflichten. Weder sei die Gruppengröße noch die Organisationsstruktur zu bemängeln. Es gehe allein um die Frage, ob sich die Bergführer bei der Beurteilung der Lawinengefahr im Unfallhang sorgfaltskonform verhalten hätten oder nicht. Im Rahmen des Strafverfahrens gegen sie habe der Sachverständige Larcher aber eindeutig festgestellt, daß der Lawinenabgang für die Bergführer nicht vorhersehbar gewesen sei. Diese Fehleinschätzung habe nicht auf organisatorischen Mängeln der Beklagten beruht, sondern eindeutig auf den überkommenen, aber offensichtlich unzureichenden Entscheidungsstrukturen der klassischen Lawinenkunde. Bei dieser klassischen Lawinenkunde habe es sich aber zum Unfallzeitpunkt um die allgemein anerkannte Lehrmeinung gehandelt. Daß mit alternativen strategischen Vorgehensweisen der Unfall möglicherweise hätte vermieden werden können, sei weder den Bergführern noch der Beklagten zum Vorwurf zu machen, da diese Lösungsansätze zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch nicht anerkannte Lehrmeinung gewesen seien und es bis heute sowohl in Deutschland als auch in Österreich noch nicht seien.

Die Reisebedingungen der Beklagten seien Vertragsbestandteil geworden (Anlage B 16). Ziffer 10 der Reisebedingungen der Beklagten enthalte eine zulässige Haftungsbeschränkung auf den dreifachen Reisepreis für Nichtkörperschäden. Der Hinweis in der gleichen Ziffer, letzter Absatz, auf alpine Risiken, insbesondere auf die Lawinengefahr, sei nicht im Sinne eines grundsätzlichen Haftungsausschlusses der Beklagten für Lawinenunfälle zu verstehen. Der Hinweis verstehe sich dergestalt, daß auch im Falle einer geführten Bergtour mit einem Bergführer das Lawinenrisiko nicht vollständig ausgeschlossen werden könne. Er sei deshalb als Beschreibung eines bergsportimmanenten Restrisikos zu verstehen, welches ein Reiseteilnehmer übernehmen müsse,

[S. 21]

auch wenn er an einer geführten Bergtour teilnehme. Durch diesen Hinweis könne und solle nicht eine Haftung für eine schuldhafte Fehlbeurteilung der Lawinengefahr durch den Bergführer ausgeschlossen werden, ausgeschlossen seien aber nachvollziehbare Prognosefehler eines Bergführers, die nicht auf einem Verschulden beruhten.

Die Beschreibung im Katalog der Beklagten dahingehend, daß das Tourengebiet der Jamtalhütte sichere und leichte Touren per Ski- oder Schneeschuh ermögliche, sei abstrakt betrachtet absolut zutreffend. Es handele sich im Vergleich zu anderen klassischen Tourenskigebieten im Ost- und Westalpenraum um ein verhältnismäßig anspruchsloses, einfaches und damit bei Beachtung der üblichen alpinen Sorgfaltspflichten auch sicheres Gebiet. Der Vorwurf einer objektiv falschen Prospektangabe sei unbegründet. Es widerspreche auch der Lebenserfahrung, daß die Klägerin und ihr Ehemann von einer Buchung Abstand genommen hätten, wenn der Zusatz "sicher" nicht im Katalog gestanden wäre.

Die Ergebnisse der Expertenkommission sowie deren Umsetzung durch die Beklagte könnten keinesfalls als allgemein üblicher Standard für Bergsteigerschulen qualifiziert werden, erst recht nicht seien sie Standard zum Zeitpunkt des Unfallereignisses vom 28.12.1999 gewesen. Aus der Tatsache, daß sich die Beklagte nach dem Unfallereignis nach besten Kräften bemüht habe, neue Erkenntnisse zu gewinnen, um solche Unfälle zukünftig zu vermeiden und dabei auch neue Branchenmaßstäbe gesetzt habe, könne nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß es die Beklagte schon zum Unfallzeitpunkt selbst hätte besser wissen müssen. Die Bergführer hätten nicht sorgfaltswidrig gehandelt, wie auch der Sachverständige Larcher im Strafverfahren festgestellt habe. Die Weisungsfreiheit der Bergführer diene gerade dem Zweck, ihnen ihren Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum bestmöglich zu erhalten. Dem Bergführer solle damit jeder wirtschaftliche Druck genommen werden, damit er allein unter Sicherheitsgesichtspunkten und frei von Vorgaben der Beklagten entscheiden könne und müsse, ob eine Tour durchgeführt werden könne oder nicht. Die Vergütung der Beklagten an die Bergführer erfolge auch unabhängig davon, ob diese konkrete Touren durchführten oder nicht. Zum Unterhaltsschaden [...]

[S. 22]

Im Berufungsverfahren hat die Beklagte als Anlage B 17 ein Privatgutachten des Sachverständigen Munter vom 21.8.2001 vorgelegt. Sie führt dazu aus, bei Werner Munter handele es sich um den international wohl anerkanntesten Lawinenexperten. Er sei der Erfinder der sogenannten ,,Reduktionsmethode", der gesamte Inhalt seines Privatgutachtens werde zum Gegenstand des Sachvortrags der Beklagten gemacht. Munter komme zu dem. Ergebnis, daß die Auslösung des Schneebretts durch eine Windböe zu unterstellen sei und es sich um ein seltenes Naturereignis handele, bei dem der Zufall die Hauptrolle spiele. Munter komme auch in Würdigung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis, daß die Warnstufe vier des Lawinenlageberichts am Unfalltag unzutreffend. gewesen sei. Zutreffend sei die Warnstufe erheblich (Warnstufe drei) gewesen. Die Nichteinholung des Lawinenlageberichts durch die Bergführer sei nach Munter nicht als Pflichtwidrigkeit zu qualifizieren. Auch die Organisation und Durchführung der Tourenwoche sei nach diesem Privatgutachten nicht zu beanstanden. Den Bergführern könne auch nicht der Vorwurf gemacht werden, bei der Beurteilung der Lawinengefahr nicht nach der Munterschen ,,Reduktionsmethode" vorgegangen zu seien. Sowohl der Gutachter Larcher als auch der Privatgutachter Munter, der es selbst am besten wissen müsse, hätten eindeutig bestätigt, daß die Reduktionsmethode zum Unfallzeitpunkt nicht anerkannte Lehrmeinung in Österreich gewesen sei. Auch in Deutschland sei diese Methode bis heute nicht als anerkannte Lehrmeinung anzusehen. Die klassische Lawinenkunde kenne auch keinen allgemein anzuwendenden Grundsatz, daß allein abhängig von der Gefahrenstufe des amtlichen Lawinenlageberichts Hänge ab einer gewissen Steilheit nicht begangen werden dürfen bzw. sollen. Diese Ansätze würden erst von modernen probabilistischen Beurteilungsmethoden wie der Reduktionsmethode oder der Methode "Stop-or-Go" aufgegriffen. Diese Methoden seien aber eindeutig noch nicht anerkannte Lehrmeinung.

[Bezugnahmen auf Akteninhalt]

[S. 23]

Entscheidungsgründe:

Auf die begründete Berufung der Klägerin hin war das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.12.2000 aufzuheben.

Die Klage ist begründet. Der Senat hält die Sichtweise des Landgerichts nicht für zutreffend.

Die Beklagte haftet der Klägerin aus einem zwischen den Parteien im Oktober 1998 abgeschlossenen Reisevertrag gemäß §§ 651 a, 651 c Abs. 1, 651 f Abs. 1, Abs. 2 BGB auf Erstattung des Verdienstausfalls infolge des erlittenen Lawinenunfalls (§ 651 f Abs. 1 BGB) und [...].

Des weiteren haftet die Beklagte der Klägerin wegen eines Organisationsverschuldens bei Planung und Durchführung der Reise gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 847 Abs. 1 BGB auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. [...]

Gemäß § 844 Abs. 2 BGB haftet die Beklagte der Klägerin wegen der Tötung des Ehemanns durch den Lawinenunfall auf Schadensersatz in Form der Entrichtung einer Geldrente, weil der Klägerin infolge des Unfalls das Recht auf den Unterhalt durch die Tötung des Ehemanns entzogen worden ist. Insoweit war dem Berufungsantrag Ziffer III zu entsprechen.

[S. 24]

Sowohl für den Bereich der vertraglichen Haftung (Art. 28 Abs. 1 u. 2 EGBGB), wie für denjenigen aus unerlaubter Handlung (Art. 40 Abs. 2 EGBGB) ist deutsches Recht anzuwenden.

Im einzelnen:

I. Vertragliche Haftung der Beklagten als Reiseveranstalterin gemäß §§ 651 a, 651 c Abs. 1, 651 f Abs. 1, Abs. 2 BGB.

[...]

1. [Zur Zulässigkeit von Klageerweiterungen in der Berufungsinstanz]

2. [Zum Feststellungsinteresse]

3. Die Beklagte ist Reiseveranstalterin im Sinne von § 651 a Abs. 1 BGB und haftet der Klägerin als solche vertraglich aus einem zwischen der Beklagten und ihr im Oktober/November 1998 abgeschlossenen Pauschalreisevertrag.

[S. 25]

Der einschränkende Hinweis der Beklagten, wenn sie auch im "formalrechtlichen Sinne" als Reiseveranstalterin zu qualifizieren sei, so handele es sich bei ihr doch um eine Bergsteigerschule, ist insoweit rechtlich unbeachtlich. Zum einen ist diese Formulierung so zu verstehen, daß auch die Beklagte ihre rechtliche Stellung letztlich - zutreffend - als diejenige einer Reiseveranstalterin beurteilt. Zum anderen ist allein entscheidend, daß die Beklagte ausweislich ihres Katalogs Anlage K 1 die von der Klägerin gebuchte kombinierte Skitouren-Schneeschuh-Wanderwoche mit den einzelnen, im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Leistungen (sechs Übernachtungen, Halbpension, Sylvesterparty, Stellen von DAV Summit Club-Bergführern usw.) als Gesamtheit von Reiseleistungen zu einem einheitlichen Gesamtpreis auf der Grundlage eines Reisekatalogs angeboten und durchgeführt hat.

4. Bei der Klägerin handelt es sich um die aus dem abgeschlossenen Reisevertrag Berechtigte. Aus der an sie gerichteten Rechnung der Beklagten Anlage K 2 vom 16.11.1998 ist ersichtlich, daß sie die Buchung, zugleich für ihren Ehemann [...], vorgenommen hat.

5. Entgegen der Sichtweise der Beklagten war die Durchführung der Pauschalreise infolge des durch die Klägerin erlittenen Lawinenunglücks vom 28.12.1999 auch mit einem Reisemangel im Sinne von § 651 c Abs. 1 BGB behaftet. Danach ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise so zu erbringen, daß sie die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlich oder nach dem Vertrage vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern.

a) Insoweit ist mit der allgemein herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum entscheidend auf die herausgehobene Bedeutung der Reisebeschreibung im Katalog abzustellen. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung kommt für den Inhalt der Leistungspflicht den Prospektangaben und sonstigen Informationen des Reiseveranstalters entschei-

[S. 26]

dende Bedeutung im Allgemeinverständnis des Reisenden zu (BGH NJW 2000, 1188; Tonner "Der Reisevertrag" 4. Auflage Seite 68, 77, 112; Führich "Reiserecht", 3. Auflage, RdNr. 201; Palandt-Sprau, BGB, 60. Auflage § 651 c RdNr. 2). Grundsätzlich wird der Prospekt Vertragsinhalt, die Leistungsverpflichtungen des Veranstalters von Pauschalreisen ergeben sich aus der Reisevertragsbestätigung in Verbindung mit der Reisebeschreibung in dem vom Veranstalter herausgegebenen Reiseprospekt (BGH, a.a.0.). Den Katalogangaben kommt eine Doppelnatur als Werbe- und Vertragsaussage zu (Tonner, a.a.0 Seite 77). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Informationspflichten von Reiseveranstaltern sind die in dem Prospekt enthaltenen Angaben für den Reiseveranstalter bindend, wodurch klargestellt ist, daß die Prospektangaben Vertragsinhalt werden und die vertraglichen Leistungspflichten des Veranstalters bestimmen (Palandt, a.a.0. Anhang zu §§ 651 a - l).

b) Die Abweichung der erbrachten Leistung von der nach dem Prospektinhalt geschuldeten zum Nachteil des Reisenden stellt in der Regel einen Reisemangel dar mit den Folgen gemäß §§ 651 c ff. BGB (Palandt, a.a.0., RdNr. 3). Dabei gilt der Grundsatz der Prospektwahrheit, worunter zu verstehen ist, daß der Prospekt richtig ist, also zutreffende Angaben enthält, sowie vollständig und klar ist (Führich, a.a.0. Seite 194/195). Im vorliegenden Fall enthielt der Reisekatalog Anlage K 1 für die Skitourenwoche auf der Jamtalhütte die Formulierung "sichere, sanfte Anstiege und Genußabfahrten mit täglichen Gehzeiten von drei bis fünf Stunden". Der Wiederaufstieg zur Jamtalhütte bei der Rückkehr vom Rußkopf am Nachmittag des 28.12.1999 hat dieses Kriterium und diese Zusage der Beklagten im Reiseprospekt, bei ihren Touren ,,sichere, sanfte Anstiege" zu wählen, in Abweichung von der geschuldeten Reiseleistung mit der Folge des Vorliegens eines Reisemangels nicht erfüllt:

[S. 27]

aa) Der Klägerin ist darin Recht zu geben, daß sie nach dieser Form der Reisebeschreibung im Katalog mit ihrem Ehemann davon ausgehen konnte, bei den angebotenen Touren handele es sich - auch an den jeweiligen Tourentagen - um unproblematische, jedenfalls nur mit einem hinzunehmenden Restrisiko an Lawinengefährdung verbundene, von Fachleuten geführte Touren. Dies gilt umsomehr, als noch eine gleich bzw. ähnlich lautende Formulierung zwar nicht in der Beschreibung der Schneeschuh-Wanderwoche zur Jamtalhütte, wohl aber in der auf der gleichen Seite des Prospekts direkt unterhalb angebrachten Beschreibung der Skitourenwoche zur Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen mit der Formulierung ,,sichere und leichte Anstiege" angebracht war. Die Beklagte hat dadurch das Vertrauen ihrer Reisekunden in eine kontrollierte, ungefährliche Durchführung der Touren geweckt, wobei die Beschreibung der Schneeschuh-Wanderwoche im Katalog ("Sie brauchen keine Schneeschuh-Erfahrung der Bergführer zeigt Ihnen, wie es geht") diesen Eindruck der Geeignetheit der Touren selbst für Anfänger unterstreichen mußte.

Das folgenschwere Lawinenunglück hat gezeigt, daß sich die Tourenwahl der Bergführer - in Abweichung von der geschuldeten Leistung - gerade nicht als sicher dargestellt hat.

bb) Demgegenüber kann die Beklagte nicht damit argumentieren, es könne nur darauf abgestellt werden, ob die Auswahl der Touren abstrakt gesehen in dem Sinne sicher gewesen sei, daß es sich um ein im Vergleich zu anderen Hochgebirgslagen vergleichsweise unproblematisches Gebiet gehandelt habe. Der verständige Reisekunde, der eine derartige Reisebeschreibung liest und zur Grundlage seiner Buchung macht, kann bei derartigen Formulierungen erwarten, daß gerade auch die konkrete Tourenwahl unter sachkundiger Leitung und Führung der gemäß

[S. 28]

Katalogbeschreibung von der Beklagten gestellten eigenen Club-Bergführer die Gewähr für die größtmögliche Sicherheit bei jeder einzelnen angebotenen und durchgeführten Tour bietet. Einschränkungen nach dem Verständnis der Beklagten, die generelle Geeignetheit des Gebietes für die Durchführung "sicherer" Touren reiche aus, braucht sich die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht entgegenhalten zu lassen. Dem steht nicht entgegen, daß auch der Klägerin und ihrem Ehemann nach dem eigenen Vorbringen bewußt war, sich im Hochgebirge mit dessen besonderen Gefahren aufzuhalten. Dieses stets vorhandene Restrisiko, welches der verständige Reisekunde hinnimmt und welches hinsichtlich unbeherrschbarer Gefahrensituationen auch nicht einem Reiseveranstalter überbürdet werden kann, ist aber hier nicht betroffen. Vielmehr handelte es sich vorliegend darum, eine unnötige und schon durch bloße andere Routenwahl (wie beispielsweise über den Talboden) beherrschbare Gefahrenlage zu vermeiden. Der Hinweis der Beklagten in Ziffer 10 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die generelle Gefahrenlage im Hochgebirge stellt in diesem Zusammenhang auch keineswegs einen etwa wirksamen Haftungsausschluß dar. Ein solches Verständnis dieser Regelung würde u.a. gegen § 9 Abs. 2 AGBG verstoßen, weil es mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen würde, nicht mehr zu vereinbaren wäre und wesentliche Vertragspflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, unzulässig einschränken würde. Es liegt auf der Hand, daß die Beklagte nicht einerseits sichere Touren anbieten und auf der anderen Seite ihre Haftung vollständig ausschließen kann.

Im übrigen ist eine Haftungsbeschränkung über den in § 651 h BGB vorgesehenen Umfang hinaus gemäß § 651 l BGB a.F. unzulässig.

[S. 29]

6. Als Folge des Vorliegens eines Reisemangels haftet die Beklagte der Klägerin gemäß § 651 f Abs. 1 BGB auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, worunter vorliegend auch der geltend gemacht Verdienstausfall (Antrag Ziffer IV) fällt.

Die Verpflichtung zur Schadensersatzleistung gemäß § 651 f Abs. 1 BGB würde nur entfallen, wenn die Beklagte als Reiseveranstalterin diesen Mangel nicht zu vertreten hätte. Dabei wird das Vertretenmüssen nach Abs. 1 Halbsatz 2 der Vorschrift vermutet. Dem Reiseveranstalter steht der Entlastungsbeweis offen, indem er darlegt und beweist, daß der Mangel auf einem Umstand beruht, den er nicht zu vertreten hat, also daß weder ihn (§ 276 BGB) noch einen seiner Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) bei der sorgfältigen Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Reise ein Verschulden an den aus seinem Gefahrenbereich stammenden schädigenden Umständen trifft (BGHZ 100, 185; Palandt a.a.O. § 651 f RdNr. 4). Es gilt demnach insoweit eine Beweislastumkehr zu Lasten des Reiseveranstalters. Sie ist durch das Umsetzungsgesetz zur EG-Pauschalreiserichtlinie von 1994 ausdrücklich in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen worden, galt jedoch aufgrund der sogenannten Nilschiff-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1987 (BGH, a.a.O.) bereits vorher Kraft Richterrechts (Tonner, a.a.O. Seite 186).

b) Nach Artikel 5 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie darf der Reiseveranstalter den Beweis mangelnden Verschuldens nur auf unvorhersehbare und nicht abwendbare Versäumnisse eines Dritten, auf höhere Gewalt und auf ein Verschulden des Verbrauchers stützen. Genau genommen hätte der Umsetzungsgesetzgeber diese beschränkten Entlastungsmöglichkeiten in den Wortlaut des § 651 f Abs. 1 BGB aufnehmen müssen. Der Sache nach sind andere Entlastungsmöglichkeiten kaum vorstellbar. Im Wege

[S. 30]

richtlinienkonformer Rechtsanwendung ist der Reiseveranstalter zurückzuweisen, wenn er ausnahmsweise die Entlastung auf einen anderen als einen der drei genannten Gründe stützt (Tonner, a.a.O.).

Letztlich kann diese - die Entlastungsmöglichkeiten des Reiseveranstalters noch stark einengende - Sichtweise dahinstehen. Denn der Beklagten ist es im vorliegenden Fall - entgegen ihrer eigenen Beurteilung - keineswegs möglich nachzuweisen, ihre Bergführer als Erfüllungsgehilfen hätten uneingeschränkt sorgfältig und in keiner Weise vorwerfbar gehandelt. Ein solcher Nachweis völlig unverschuldeten Zustandekommens des Lawinenunglücks im Sinne eines unvermeidbaren Naturereignisses ist der Beklagten nicht gelungen und kann insbesondere auch nicht auf der Grundlage des von ihr beigebrachten Privatgutachtens des Sachverständigen Munter als geführt angesehen werden. Ebensowenig kann dafür ins Feld geführt werden, daß die Feststellungen des Sachverständigen Larcher und die übrigen Beweiserhebungen im Strafverfahren gegen die drei österreichischen Bergführer vor dem Landesgericht Innsbruck zu einem rechtskräftigen Freispruch geführt haben.

c) Vielmehr ist es in diesem Zusammenhang für die Beurteilung eines nicht geführten Entlastungsbeweises seitens der Beklagten ausreichend, von der jedenfalls zu bejahenden Möglichkeit auszugehen, daß vorwerfbare Fehleinschätzungen und unsorgfältige Handlungsweisen der Bergführer mit zu dem Unfall beigetragen haben können. In diesem Zusammenhang ist der zwischen den Parteien letztlich unstreitige Umstand hervorzuheben, daß mit nur geringfügig größerem Zeitaufwand von zusätzlich fünf bis zehn Minuten der Umweg über den Talboden. beim Wiederaufstieg zur Jamtalhütte anstelle der Querung des Lawinenhangs möglich gewesen wäre, wobei hier die Feststellung genügt, daß dadurch aller Voraussicht nach - wenn nicht sicher - das Unglück vermieden worden wäre. Auch die Einhaltung von

[S. 31]

Entlastungsabständen hätte möglicherweise - wobei diese Feststellung in dem hiesigen Zusammenhang ausreicht - ebenfalls das Unglück vermeiden können. So wird die Einhaltung von Entlastungsabständen unter dem Stichwort ,,gestaffeltes Gehen" u.a. nunmehr in den eigenen verbindlichen Standards der Beklagten (Anlage K 18 Seite 2) gefordert. Gleiches gilt für das Einholen des Lawinenlageberichts, dessen genaue Kenntnis auch in den Einzelheiten die Bergführer möglicherweise von der Durchführung dieser Tour abgehalten hätte. Vor allem wäre das Unglück vermieden worden, wenn die Bergführer die jetzt aufgestellten verbindlichen Standards befolgt hätten, wonach bei Lawinenwarnstufe drei nur Hänge mit weniger als 40 Grad und bei Lawinenstufe vier nur Hänge mit weniger als 30 Grad Neigung begangen werden dürfen.

Nochmals hervorzuheben ist, daß in diesem Zusammenhang der vertraglichen Haftung die Feststellung genügt, daß aus den vorgenannten Gründen eine pflichtwidrige Vorgehensweise der Bergführer der Beklagten, für deren Verhalten die Beklagte gemäß § 278 BGB einzustehen hat, in Betracht kommt und sich die Beklagte in zusammenfassender Würdigung aller Umstände nicht durch den Nachweis etwa vollständig pflichtgemäßen Handelns ihrer Bergführer zu entlasten vermag.

Auch unter Berücksichtigung des nachstehend unter Ziffer II näher dargelegten Organisationsverschuldens der Beklagten ist der Entlastungsbeweis nicht als geführt anzusehen.

Für die materielle Begründetheit des Feststellungsantrags ist die Wahrscheinlichkeit einer Schadensentstehung (hier Verdienstausfall) ausreichend (BGH NJW 91, 2707). Diese ist hier zu bejahen. Die Beklagte kann nicht bestreiten, daß die bei dem Lawinenunglück verschüttete Klägerin, die z. B. unstreitig auch am Folgetag zur Behandlung ihrer Verletzungen ausgeflogen werden mußte, jedenfalls gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten hat. Der Senat versteht das Bestreiten der Verletzungen mit Nichtwissen so, daß lediglich der

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Umfang der Verletzungen streitig ist. Insoweit ist jedenfalls - für den Feststellungsantrag ausreichend - mit Einkommenseinbußen der berufstätigen Klägerin zu rechnen.

7. [Zur Anspruchshöhe bei § 651 f Abs. 2 BGB]

8. Die Beklagte hat in zulässiger Weise in Ziffer 10 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen die vertragliche Haftung für Nichtkörperschäden auf den dreifachen Reisepreis beschränkt (§ 651 h Abs. 1 BGB).

Diese Haftungsbeschränkung kommt vorliegend noch nicht zum Tragen. [...]

[S. 33]

II. Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung wegen Organisationsverschuldens gemäß §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 2, 847 Abs. 1 BGB.

[...]

1. [Zum Feststellungsinteresse]

2. Neben der vertraglichen Haftung ist auch die Haftung der Beklagten auf Leistung von Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB gegeben.

Der Reiseveranstalter verspricht eine bestimmte Gestaltung der Reise. Er vermittelt nicht nur Fremdleistungen, sondern übernimmt selbst die Haftung für den Erfolg der Reise, soweit dieser von seinen Leistungen abhängt (BGHZ 130, 128; BGH NJW 2000, 1189). Er erbringt dabei, u.a. in der Bündelung der einzelnen Leistungen zu einem Gesamtpaket, insbesondere auch eine Organisationsleistung. Ihn treffen nach ständiger Rechtsprechung neben den gegenüber seinen Kunden vertraglich übernommenen Pflichten auch deliktische Verkehrspflichten zum Schutz der Kunden vor Gefahren, die auf der Reise entstehen können. Dies folgt aus der vom Reiseveranstalter beruflich gegenüber dem Kunden übernommenen Pflichtenstellung; die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich deliktische Verkehrspflichten. Der Reiseveranstalter hat dabei die Sicherheit seiner Kunden auch bei Einschaltung selbständiger Leistungsträger in eigener Verantwortung zu gewährleisten (BGHZ 103, 298, 306; Staudinger BGB 13. Bearb., § 823 RdNr. E 384). Dabei ist Grund für die deliktischen Verkehrspflichten des Reiseveranstalters auch das Vertrauen der Reisekunden in die Organisation und Überwachung der Reiseleistungen durch den Reiseveranstalter (BGH, a.a.O., Staudinger, a.a.O.,. OLG München, Reiserecht aktuell 1995, 204).

[S. 34]

3. a) In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1988 durch das sogenannte "Balkonsturzurteil" (BGH NJW 1988, 1380 ff) eine eigene gewerbliche Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen konstatiert, die sich nicht nur auf Auswahl und Kontrolle des eigenen Personals und eigener Transportmittel erstrecke, sondern auch auf Auswahl und Kontrolle der Leistungsträger, so der Vertragshotels. Nehme der Reiseveranstalter ein Hotel als Leistungsträger unter Vertrag, so müsse er sich zuvor vergewissern, daß es nicht nur den gewünschten und angebotenen Komfort, sondern auch ausreichenden Sicherheitsstandard biete. Er sei für die Sicherheit der Hotels und Ferienwohnungen selbst mit verantwortlich und es sei ihm zuzumuten, für die regelmäßige Kontrolle der unter Vertrag genommenen Unterkünfte und Ferieneinrichtungen Personen einzusetzen, die über hinreichende Sachkunde und kritische Sicht verfügten.

b) In jüngster Zeit hat der Bundesgerichtshof durch die Entscheidung vom 14.12.1999 (BGH NJW 2000, 1188 ff) einen Schadensersatzanspruch eines Pauschalreisenden wegen eines erlittenen Reitunfalls bei einem Club-Urlaub in Tunesien infolge der Bereitstellung eines unzuverlässigen Reitpferdes grundsätzlich bejaht und ausgeführt, ein Veranstalter von Clubreisen, der umfangreiche Sportmöglichkeiten anbiete, sei nicht nur verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die in der Reisebeschreibung genannten Sportmöglichkeiten überhaupt vorhanden seien. Vielmehr habe er auch dafür einzustehen, daß die zur Ausübung der Sportarten erforderlichen Clubeinrichtungen und Ausstattungen in einer für den Reisenden geeigneten Weise zur Verfügung stünden; sei dies nicht der Fall, liege ein Reisemangel vor. Das Berufungsgericht habe auch zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung und damit zugleich den

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geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB verneint. Gleichzeitig hat. der BGH dazu Ausführungen gemacht, für derartige Fälle sei deutsches Recht anzuwenden (BGH, a.a.O.). Der Reisende dürfe darauf vertrauen, daß der Veranstalter alles Erforderliche zur erfolgreichen Durchführung der Reise unternehme, entsprechend müsse der Veranstalter auch im Hinblick auf die Einrichtungen des Leistungsträgers die notwendigen und ihm zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen, um Schaden von den Reisenden zu wenden. Dazu gehöre insbesondere die Überwachung der Einrichtungen auf die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsstandards (BGH, a.a.O.).

c) In einer anderen Entscheidung hat das Oberlandesgericht München (OLG München, Reiserecht aktuell 1995, 204) ausgeführt, ein Reiseveranstalter, zu dessen Leistungsangebot ein Wanderführerlehrgang mit Wildwasserschwimmübungen gehöre, sei verpflichtet, den Lehrgangsleiter zu überwachen und anzuweisen, den Fluss auf große Steine hin zu kontrollieren, bevor er die Lehrgangsteilnehmer zu einem Sprung in das Gewässer auffordere.

4. Diese auch vom Senat als zutreffend erachteten Anforderungen belegen, daß das Deliktsrecht heute weitgehend von der Konzeption der unerlaubten Handlung als Verkehrspflichtverletzung und damit als Verstoß gegen ein sozial-ethisch fundiertes Rücksichtsgebot beherrscht wird (Münchener Kommentar, BGB Schuldrecht 3. Auflage § 823 RdNr. 203). Als Typen von Verkehrssicherungspflichten werden dabei unter anderem Obhuts- und Fürsorgepflichten sowie Gefahrenkontrollpflichten, Auswahl- und Aufsichtspflichten und Organisationspflichten herausgestellt (Münchener Kommentar a.a.O.). Verkehrspflichten zum Schutze der Besucher von Freizeit- und Sportveranstaltungen sowie Organisations- und Absperrmaßnahmen, Einrichten von Sicherheitszonen, Pistensicherungspflichten usw. sind in diesem Zusammenhang für derartige Veranstalter seit langem anerkannt (Staudinger, a.a.O. § 823 RdNr. E 320 ff; Münchener Kom

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mentar, a.a.O. § 823 RdNr. 243 ff).

In einer Fülle weiterer Beispiele hat insbesondere der Bundesgerichtshof, ebenso die Rechtsprechung der übrigen Obergerichte immer wieder die Haftung für verschiedene Arten von Organisationsverschulden bejaht:

So hat der Bundesgerichtshof in MDR 1994, 776 im Rahmen des Katastrophenschutzes bei Überschwemmungen ein Organisationsverschulden der für den Katastrophenschutz zuständigen Behörde insoweit angenommen, als er die Verpflichtung bejaht hat, Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes, dem Katastrophenschutzaufgaben übertragen worden waren, bezüglich persönlicher und sachlicher Ausstattung zu prüfen. Aus dem Bereich der Arzthaftung hat der Bundesgerichtshof in MDR 1991, 603 ein Organisationsverschulden des Krankenhausträgers darin gesehen, daß ein Medikament mit erheblich niedrigeren Risiken für den Patienten nicht rechtzeitig vor der Operation zur Verfügung stand. Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin KGR 1999, 384 befaßt sich mit Organisationsverschulden im Rahmen des Haftungsfalls für einen Schwimmbadunfall. Die Entscheidung des OLG Dresden OLGR 1999, 330 betrifft die Haftung einer Stadt als Skipistenbetreiberin wegen Nichtvorhandenseins von Fangzäunen u.a., die Entscheidung des OLG Hamm OLGR 2000, 90 bezieht sich ebenfalls auf die Haftung eines Veranstalters aus Organisationsverschulden bei einer Massenveranstaltung.

5. Grund für die deliktischen Verkehrspflichten des Reiseveranstalters ist auch das Vertrauen der Reisekunden in die Organisation und Überwachung der Reiseleistungen durch den Reiseveranstalter (Staudinger, a.a.O. RdNr. E 384 unter Hinweis u.a. auf das ,,Balkonsturzurteil" des Bundesgerichtshofs BGHZ 103, 298 ff). Einer Veranstalterin von speziellen Bergsteiger-Reisen, von Tourenwochen in die Hochregionen der Alpen, gleichzeitig einem Tochterunternehmen des Deutschen Alpenvereins - wie hier -, wird dabei ein besonderer Vertrauensvorschuß von Reiseinteressenten entgegengebracht. Daß dies auch auf Seiten der Klägerin und ihres Ehemannes der Fall war, hat die Klägerin, gerade unter Schilderung des Eindrucks, den der o.a. wiedergege-

[S. 37]

bene Kataloginhalt auf sie und ihren Ehemann gemacht hat, überzeugend dargelegt.

Während normalerweise einen Sporttreibenden keine Verantwortung dafür trifft, daß diejenigen, die gemeinsam mit ihm Sport ausüben, ihrerseits die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllen, ist dies bei demjenigen anders zu beurteilen, der eine Veranstalterfunktion ausübt. Eine besondere Verantwortung haben in dieser Hinsicht z.B. auch Sportlehrer im Rahmen ihres Unterrichts, Personen die eine Verantwortung für das Verhalten anderer trifft, die eine Gruppenführerfunktion ausüben oder verantwortliche Leiter eines sportlichen Vorhabens sind, wie z.B. Bergführer (Münchener Kommentar, a.a.O. § 823 RdNr. 325, 326). Der Vertrauensvorschuß, der insoweit der Beklagten Kraft ihrer besonderen Erfahrungen, Kenntnisse und ihrer Qualifikation ebenso wie den von ihr eingesetzten speziell geschulten Kräften vom Reiseinteressenten üblicherweise entgegengebracht wurde, mußte der Beklagten auch bekannt sein.

6. Diese - nach Ansicht des Senats zutreffenden - Anforderungen zeigen, daß es nicht hinzunehmen ist, wenn die Beklagte argumentiert, sie als Reiseveranstalterin könne bei derartigen Veranstaltungen keinen Einfluß auf die Entscheidungen der Bergführer nehmen und dies sei nicht geboten, weil den Bergführern die Freiheit der Entscheidung vor Ort zu belassen sei.

Diese Sichtweise verkennt schon, daß es sich bei den Bergführern - jedenfalls im hier gegebenen Fall - um Verrichtungsgehilfen der Beklagten im Sinne von § 831 BGB gehandelt hat. Nach der herkömmlichen Definition ist derjenige Verrichtungsgehilfe, dem von einem anderen, in dessen Einflußbereich er allgemein oder im konkreten Fall und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden ist. Für das Weisungsrecht ist ausreichend, daß der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann (Palandt a.a.O § 831 RdNr. 6).

Diese Kriterien sind hier als erfüllt anzusehen:

Im Katalog der Beklagten findet sich die Bezeichnung "DAV Summit

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Club-Bergführer", die den Schluß zulässt, daß es sich um eigene Kräfte der Beklagten handelt. Selbst wenn die Bergführer von der Beklagten nur von Fall zu Fall beauftragt, von dieser aber direkt vergütet werden, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, unterliegen sie gleichwohl Anweisungen der Beklagten. Dies zeigt schon der Umstand, daß die jetzt von der Beklagten eingeführten Sicherheitsstandards (Anlage K 18) unstreitig für deren Bergführer als verbindlich erklärt worden sind, von diesen also zu beachten sind.

Ob die Beklagte - wie die Klägerin meint - vorliegend für die Schadenszufügung durch die Bergführer als Verrichtungsgehilfen wegen mangelnder Auswahl bzw. Überwachung haftet, kann jedoch vorliegend dahinstehen.

7. Denn nach der hier vertretenen Auffassung haftet die Beklagte für den durch die Klägerin erlittenen Körperschaden unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Organisationsmangels. Es wäre von Anfang an erforderlich gewesen, sich als Reiseveranstalter nicht auf die Programmgestaltung als solche zu beschränken, sondern ein Sicherheitskonzept und einen Rahmen für die Durchführung einer derartigen Veranstaltung in sicherheitsrelevanter Hinsicht zu erstellen und dazu eine Weisung an die eigenen Bergführer zu erteilen. Das Fehlen jeglicher sicherheitsrelevanter Anordnungen stellt einen Organisationsfehler der Beklagten dar. Das tragische Unglück zeigt, daß es geboten war, die Bergführer nicht in ausschließlich eigener Verantwortung ohne jede Vorgaben und Beachtung von Sicherheitsanforderungen, die die Beklagte als Veranstalterin für erforderlich hielt, Entscheidungen über die Durchführung von Touren bei mindestens erheblicher - wenn nicht starker - Lawinengefahr, Tourenwahl usw. treffen zu lassen. Es ist gerade ein entscheidender Unterschied darin zu sehen, ob ein einzelner Bergsteiger oder eine Gruppe ihrerseits einen Bergführer beauftragt, der dann eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen haben mag oder ob sich - wie hier - weitgehend ungeübte Reiseteilnehmer unter der Ankündigung der Durchführung vermeintlich sicherer Touren einem Spezialreiseveranstalter

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für Hochgebirgstouren anvertrauen. Im letzteren Fall hat dann auch der Veranstalter durch rechtzeitige Einflußnahme auf seine Bergführer seinerseits für die Beachtung der größtmöglichen Sicherheit zu sorgen. Dies kann nur durch von Anfang an klare Anweisungen an die Bergführer geschehen, die auch dahin lauten müssen, im Zweifelsfall trotz eines Druckes, "etwas bieten zu müssen", Touren bei ungünstiger Wetterlage, Lawinengefahr und an Hängen mit zu hoher Neigung zu unterlassen.

Die jetzige Anordnung der Beklagten (Anlage K 18) zeigt, daß es der Beklagten möglich war, sehr wohl verbindliche Limits, Standards und Verhaltensweisen für ihre Bergführer aufzustellen und daß keine Anhaltspunkte für etwa fehlende Durchsetzbarkeit dieser Anordnungen bestehen. Die Regelung in Anlage K 18 ist als "Risikomanagement, verbindliche Standards im Winter" überschrieben. Sie enthält unter der Rubrik "tägliche Standards" als ersten zu beachtenden Punkt: "Lawinenlagebericht einholen". Als Punkt zwei unter "eigene Beurteilung vor Ort" ist u.a. angeführt ,,Formel 3 x 3" - also ein Hinweis auf die Beachtung der sogenannten Munter-Methode. Als Punkt drei ist angeführt ,,Vergleich mit Lawinenlagebericht" (mit Entscheidungskriterien im einzelnen).

Sodann heißt es unter diesem Abschnitt über diese drei Punkte seien die Kunden rechtzeitig zu informieren. In einem weiteren Punkt "Entscheidungsstrategie" sind Entscheidungshilfen nach der Reduktionsmethode, die wiederum auf Munter zurückzuführen ist, angeführt. Schließlich heißt es unter ,,Limits (verbindliche Obergrenzen)":

"Stufe drei erheblich - weniger als 40 Grad in allen Expositionen" und weiter "Stufe vier groß - weniger als 30 Grad in allen Expositionen".

Unter "generelle Standards" heißt es z.B. bei ,,Kommunikation unter den Bergführern": "Gestaffeltes Gehen (angemessene Abstände einhalten)".

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8. Die Beachtung dieser jetzigen Standards hätte, was auch von der Beklagten nicht ernsthaft in Frage gestellt wird, den folgenschweren Lawinenunfall an der Jamtalhütte verhindert. Abgesehen von den übrigen Versäumnissen der Bergführer, wie Nichteinholen des Lawinenlageberichts am Morgen des 28.12.1999 (wobei es nicht ausreichend sein kann, daß allenfalls dem Hüttenwirt der Lawinenlagebericht und höchstens einem der Bergführer die mitgeteilte Gefahrenstufe bekannt gewesen sein mag) und Nichteinhaltung von Entlastungsabständen beim Queren des Lawinenhangs, sind eindeutig die als verbindliche Obergrenzen bezeichneten Limits, nämlich bei Stufe drei (erheblich) nur Hänge von weniger als 40 Grad Neigung und bei Stufe vier (groß) nur solche von weniger als 30 Grad Neigung zu begehen - wie oben dargelegt - nicht beachtet worden.

Der Annahme der Vermeidbarkeit stehen auch nicht die Einschätzungen des Sachverständigen Munter in dessen durch die Beklagte vorgelegten Privatgutachten (Anlage B 17) entgegen:

a) So kann dahinstehen, ob - wie Munter meint - die Lawine durch bloße Windeinwirkung selbst ausgelöst worden sein kann. Abgesehen davon, daß es einen äußerst ungewöhnlichen Zufall darstellen würde, wenn die Lawine ausgerechnet in dem Augenblick - durch Wind (der nach Darstellung der Beklagten aber gerade nachgelassen haben soll) - ausgelöst worden sein soll, als die Gruppe den Hang querte, kann die Auslösungsursache letztlich offen bleiben.

Denn bei der gebotenen Nichtbegehung wegen zu hoher Lawinenwamstufe und zu großer Hangneigung wäre selbst eine Windauslösung folgenlos geblieben.

[S. 41]

b) Nicht entgegen steht auch die Einschätzung Munters, den Bergführern seien keine Sorgfaltsverstöße anzulasten. Wiederum fällt es schwer, diese Beurteilung nachzuvollziehen, was jedoch dahinstehen kann. Denn es handelt sich insoweit um Rechtsfragen, die der Senat selbst zu beurteilen hat.

c) Auch die Beurteilung im Privatgutachten, es sei nicht der Lawinenlagebericht für Tirol (Stufe 4 für Silvretta, im übrigen Stufe 3) zutreffend gewesen, sondern derjenige für das Engadin (Stufe 3) ist einerseits schwer nachvollziehbar, da die Jamtalhütte unstreitig im Tiroler Silvrettagebiet liegt, andererseits nicht ausschlaggebend.

Nach der hier vertretenen Ansicht kommt es nur darauf an, daß die Lawinenwarnstufe als solche als objektive Größe in einem amtlichen Lawinenlagebericht ausgegeben wird. Dies muß die Bergführer veranlassen, eine eigene abweichende Einschätzung nur in einem begründeten Ausnahmefall vorzunehmen und jedenfalls zugunsten der Sicherheit vorsichtshalber die höhere von zwei denkbaren Warnstufen zu beachten. Im gleichen Sinne hätte eine Anweisung der Beklagten an ihre Bergführer ergehen müssen.

Dahingehend versteht der Senat auch die nunmehr verbindlichen Standards (Anl. K 18), d. h., daß die Beklagte jedenfalls nunmehr diese vorsichtigere Handhabung - im Zweifelsfall die höhere Warnstufe zu beachten - anordnet.

Letztlich schlußfolgert insbesondere auch Munter in seinem Privatgutachten Seite 4 unten (Anlage B 17), es gebe für ihn "überhaupt keine Zweifel", daß man "solche Unfälle vermeiden könnte", wenn man "den längst fälligen Paradigmenwechsel in der Lawinenkunde endlich vollziehen würde".

9. Die Nichtbeachtung der vorgenannten Sicherheitsstandards hat auch zu der weiter oben dargelegten Körper- und Gesundheitsverletzung der Klägerin und zum Tod ihres Ehemannes geführt.

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10. Die Beklagte muß sich auch entgegenhalten lassen, daß der Organisationsmangel, nicht rechtzeitig verbindliche Sicherheitsstandards gegenüber ihren Bergführern aufgestellt und für deren Beachtung gesorgt zu haben, ein fahrlässiges Fehlverhalten ihrerseits, mithin ein Organisationsverschulden, darstellt.

a) Der nach wie vor - trotz Einführung ihrer eigenen Sicherheitsstandards - von der Beklagten eingenommene Standpunkt, letztlich könnten nur die Bergführer verbindlich vor Ort Entscheidungen treffen, wurde und wird den an die Durchführung einer Pauschalreise in Form geführter Skitouren im Hochgebirge mit nicht professionellen Teilnehmern einer Freizeitveranstaltung zu stellenden Anforderungen nicht gerecht. Das Vertrauen dieser Reiseteilnehmer auf sicherheitsbewußte fachliche Führung im Hochgebirge erfordert den Verzicht auf riskante Aufstiege und Hangquerung bei sich deutlich abzeichnender Lawinengefahr. Derartige Grundentscheidungen für die Sicherheit aller Teilnehmer und gegen das Risiko unbeherrschbarer Gefahrenlagen kann nur der für die Durchführung der Reise verantwortliche Reiseveranstalter selbst treffen, indem er ein Sicherheitskonzept entwickelt, Standards setzt und klare Anweisungen trifft. Dazu gehört im Zweifelsfall zugunsten der Sicherheit auch die Anweisung stets Lawinenlageberichte einzuholen, bei unterschiedlicher Lawinenwarnstufe (hier Stufe drei und Stufe vier) benachbarter Lawinenwarndienste den für die jeweilige Region etwa auch in Frage kommenden höheren Gefahrengrad in die Entscheidung einzubeziehen. Ferner gehört die Kontrolle über die Einhaltung derartiger Standards zu den Organisationspflichten des Veranstalters.

b) Entgegen der Sichtweise der Beklagten wird die Delegation dieser Verantwortung auf den/die Bergführer weder den tatsächlichen noch den rechtlichen Gegebenheiten und Anforderungen gerecht. Der Beklagten ist einzuräumen, daß möglicherweise erst das Lawinenunglück an der Jamtalhütte die Tragweite und Problematik dieser Verantwortung in vollem Umfang aufgezeigt hat. Auch

[S. 43]

wenn sich die Beklagte in Konsequenz dieses Unglücks nunmehr darum bemüht hat, verbindliche Standards zur Verbesserung der Sicherheit der Reiseteilnehmer aufzustellen und umzusetzen und dieses Bemühen anzuerkennen ist, vermag es die Beklagte umgekehrt nicht zu entlasten.

Bei Beachtung der gebotenen und erforderlichen Sorgfalt hätte die Beklagte vielmehr auch ohne dieses Unglück rechtzeitig erkennen können, daß das Fehlen jeglicher Anordnung von zu beachtenden Sicherheitsstandards eine Sicherheitslücke für die ihr anvertrauten Reiseteilnehmer bedeutete.

In diesem Zusammenhang hat es an mahnenden Hinweisen gerade auch vom schweizerischen Lawinenexperten Munter, die unbestritten der Beklagten zur Kenntnis gelangt sind, nicht gefehlt. Munter hat als anerkannter Lawinenexperte unstreitig bereits Jahre vor dem hier eingetretenen Lawinenunglück den "längst fälligen Paradigmenwechsel" in der Lawinenkunde gefordert (Anlage B 17, S. 18 Mitte) und immer wieder darauf hingewiesen, der Mensch in seiner Unzulänglichkeit unterliege subjektiven Fehleinschätzungen. Hierzu hat auch die Expertenrunde in Anlage K 19, S. 4 "Wahmehmungsfehler beim einzelnen Bergführer" zusammengefaßt, die als solche auch schon vor dem Unfall zumindest erkennbar gewesen sein müssen. Insoweit hat der Lawinenexperte Larcher den konkreten Unfallhang - unter anderem wegen der geringen Schneehöhe - als Falle (Anlage B 2, S. 61) bezeichnet. Infolge dessen hat gerade Munter objektivierte Standards, orientiert an Lawinenwarnstufen und Hangneigungen und weitgehend losgelöst von subjektiven Einschätzungen, gefordert. Seine Reduktionsmethode schlägt ein probabilistisches - d. h. wahrscheinlichkeitsorientiertes - Entscheidungskonzept vor und beinhaltet eine Risikoformel, die Auskunft über das verbleibende Restrisiko geben soll.

Er verweist darauf, daß dem linearen Anstieg der Gefahrenstufen ein exponentieller Anstieg des Gefahrenpotentials zuzuordnen ist (vgl. im einzelnen die Stellungnahme von Larcher Anlage B 2, S. 31ff).

[S. 44]

c) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die Methoden nach Munter ("Reduktionsmethode", "3 x 3") seien zum Unfallzeitpunkt und bis heute noch nicht anerkannte Lehrmeinung, weder in Deutschland noch in Österreich. Darauf kann es nicht ankommen, weswegen zu dieser zwischen den Parteien streitigen Frage auch nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich war. Nach Auffassung des Senats müssen vielmehr bereits in Fachkreisen ernsthaft diskutierte Auffassungen, wonach geänderte Sicherheitsstandards notwendig seien, für einen Spezialveranstalter von Hochgebirgstouren mit weitgehend ungeübten Reiseteilnehmern Veranlassung sein, derartig ernsthaft vertretene Auffassungen bereits in seine Sicherheitsüberlegungen und -vorkehrungen rechtzeitig einzubeziehen und in Konsequenz daraus derartige Anforderungen, wenn es um so weitreichende Sicherheitsfragen geht, bereits vorsorglich zu beachten. Es liegt auch ein gewisser Widerspruch darin, wenn die Beklagte unstreitig einerseits zwei der beteiligten österreichischen Bergführer bereits Jahre vor dem Unfall in der Munter-Methode hat unterrichten lassen und auf der anderen Seite dessen Hinweise und Warnungen ihrerseits nicht umgesetzt hat.

d) Die Beklagte vermochte auch nicht vorzutragen, daß sich etwa erst in den nur neun Monaten zwischen dem Unfall und der Festsetzung der neuen Standards neue Erkenntnisse ergeben hätten außer der - erst durch den Unfall gewachsenen - Überzeugung, es sei erforderlich, allgemein-gültige Standards/Limits zur besseren Bewältigung der Lawinengefahr bei derartigen Pauschalreiseveranstaltungen aufzustellen. Bei der gebotenen und zu fordernden Sorgfalt wäre diese Erkenntnis schon vor dem Unfall möglich und umsetzbar gewesen.

e) Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf den Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr berufen. Der Hinweis, die Bergbesteigungen erfolgten in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko, es sei zu beachten, daß gerade im Bergsport ein erhöhtes Unfallrisiko, u.a. durch Lawinen, bestehe, das auch durch

[S. 45]

umsichtige und fürsorgliche Betreuung der vom DAV Summit Club eingesetzten Bergführer nicht vollkommen reduziert und ausgeschlossen werden könne, schließt die Haftung nicht aus. Mindestens bei der hier gegebenen Ankündigung der Durchführung sicherer Touren kann sich ein Reiseveranstalter auf einen Haftungsausschluß nicht berufen. Eine Haftungsbeschränkung, etwa wie sie § 651 h BGB für den Bereich der vertraglichen Haftung ermöglicht, ist im Bereich der deliktischen Haftung unzulässig. Ein stillschweigender Haftungsausschluß oder ein Handeln auf eigene Gefahr ist schon in der Teilnahme an einem parallel von mehreren ausgeübten Sport grundsätzlich nicht zu sehen. Ausnahmen gelten lediglich bei besonders gefährlichen Sportarten, wie etwa Autorennen, desgleichen allenfalls, wenn sich z.B. eine Gruppe gemeinsam zu einem bestimmten Verhalten entschließt (Wahl einer Aufstiegsroute, Antritt einer Nachtwanderung), das in Anbetracht der Umstände als gefährlich angesehen werden muß, wenn in dem gemeinsamen Verhalten aller Gruppenmitglieder ein fahrlässiger Verstoß gegen Sorgfaltspflichten zu sehen ist (Münchener Kommentar, a.a.O., § 823 RdNr. 327).

Diese Maßstäbe sind von den bei einer geführten Tour im Rahmen einer Reiseveranstaltung anzulegenden deutlich zu unterscheiden. Unstreitig haben die Bergführer die Gruppenmitglieder weder in ihre Entscheidungen einbezogen noch über wesentliche Kriterien der Entscheidungsfindung, wie z.B. die Lawinenwarnstufe, überhaupt informiert.

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß nach den eigenen neuen Standards die Information aller Teilnehmer über die wichtigsten Entscheidungsgrundlagen der Durchführung einer Tour, z.B. den Lawinenlagebericht, jetzt allgemein verbindlich verankert ist (Anlage K 18). Die Beklagte muß sich entgegenhalten lassen, daß gerade auch das Unterlassen dieser wichtigen Informationen gegenüber den Gruppenteilnehmern ebenfalls ein schuldhaftes Organisationsverschulden darstellt. Der Reiseveranstalter ist - was bereits dargelegt wurde - zu weitestgehend möglicher Information des Kunden über die Umstände der Durchführung der Reise, die

[S. 46]

Verhältnisse am Urlaubsort u.a., z.B. auf der Grundlage der Informationsverordnung vom 14.11.1994, vertraglich verpflichtet. Insoweit hätte der Beklagten noch vor dem Unfallereignis und vor Einführung ihrer verbindlichen Standards auf Grund der lange Jahre zuvor gültigen Gesetzeslage bewußt sein müssen, daß sie zu umfassender Information ihrer Kunden verpflichtet ist - wozu auch die Bekanntgabe des Lawinenlageberichts, jedenfalls dann, wenn dieser höhere Gefährdungsstufen aufweist, gehören mußte. Auch in diesem Zusammenhang muß davon ausgegangen werden, daß die Bekanntgabe mindestens der Lawinenwarnstufe vier (starke Lawinengefahr) einzelne Teilnehmer angesichts dieser Gefährdung von der Durchführung einer Tour abgehalten hätte und daß dies auch bei der Klägerin und ihrem Ehemann, wofür nach den hier gegebenen Umständen eine Vermutung spricht, die die Beklagte entkräften müßte, der Fall gewesen wäre.

Ein Mitverschulden der Klägerin und ihres Mannes (§ 254 BGB) ist zu verneinen, weil beide auf die Sachkunde der Beklagten vertrauen durften.

11. Der Senat erachtet auch in Abwägung der Zumutbarkeitsgrenze diese verschärften Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Reiseveranstalters als eigene Verpflichtung gegenüber dem Reiseteilnehmer als zutreffend. Es wurde aufgezeigt, daß zum einen eine stete Verbesserung der gesetzlichen Absicherung des Reisekunden festzustellen ist (Einführung der Informationsverordnung von 1994; Beweislastumkehr zu Lasten des Reiseveranstalters in § 651 f Abs. 1 BGB; Absicherung gegenüber dem Insolvenzrisiko des Reiseveranstalters u.a.). Zum anderen hat die Rechtsprechung - wie dargelegt wurde - auch im Bereich der Deliktshaftung kontinuierlich gestiegene Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht und damit Organisationspflicht des Reiseveranstalters gesetzt.

Auch die Teilnahme an Hochgebirgstouren im Winter im Rahmen einer organisierten Pauschalreise kann vor diesem Hintergrund nicht dazu führen, daß sich der Veranstalter von seiner Verantwortung

[S. 47]

freizeichnen oder diese auf die Bergführer delegieren kann. Die Hinweise auf die allgemeinen Gefahren derartiger Tourendurchführungen im Winter und im Hochgebirge sind zwar zutreffend und müssen Anlaß für jeden Reiseteilnehmer sein, sich der gesteigerten Gefahren bewußt zu sein und sein allgemeines Verhalten darauf einzurichten. Zu einem Haftungsausschluß oder zu einer Haftungsbeschränkung kann dies aber unter den hier vorliegenden Umständen nicht führen, wie ausgeführt wurde. Zumindest ein Reiseteilnehmer wie die Klägerin, die keine professionelle Bergsteigerin ist, vertraut sich vielmehr bewußt der höheren Sachkunde, Erfahrung und Besonnenheit eines Spezialveranstalters und dessen Fachkräften an. Die hier durch den Prospekt erweckte Erwartung und das entgegengebrachte Vertrauen geht dabei dahin, zwar erlebnisreiche, aber nach menschlicher Vorsorge möglichst sichere Tage auf einer Hütte im Hochgebirge zu erleben. Soweit - wie hier - beherrschbare Organisationsformen, Standards, Entscheidungen über Routenwahl bei bestimmten Stufen der Lawinengefährdung und Informationsverpflichtungen betroffen sind, muß den Reiseveranstalter eine Verantwortung treffen, ohne daß deswegen die Anforderungen an ihn als überspannt angesehen werden könnten.

Hier geht es gerade nicht um ein bloßes schicksalshaftes Naturereignis und dessen - auch bei Beachtung von Sorgfaltspflichten - zumeist fehlende Beherrschbarkeit, sondern um sehr wohl zu fordernde Vorsorge- und Organisationsmaßnahmen. Damit ist auch nicht - wie die Beklagte meint - das bergsportimmanente Restrisiko betroffen, das dem Reiseveranstalter keineswegs überbürdet werden soll. Vielmehr ist seine Einstandspflicht zu bejahen für denjenigen Bereich der Durchführung einer Pauschalreise, den er - wie hier - durch Vorsorge, Organisation und Sorgfalt im Sinne eines ihm nicht zu ersparenden Sicherheitsstandards, wie er gegenüber jedem Veranstalter zu fordern ist, beeinflussen kann.

Die täglichen Anrufe des stellvertretenden Geschäftsführers der Beklagten auf der Jamtalhütte (Blatt 11 2 d. A.) zeigen, daß der Beklagten - unabhängig von der hier lediglich geforderten generellen Anweisung - sogar ein laufendes Kontakthalten möglich war. Dann hätte es aber erst recht nahegelegen, die Berführer - statt lediglich, wie geschehen,

[S. 48]

den Hüttenwirt - zu konsultieren und ihnen Anweisungen zu geben.

Die geforderten Maßnahmen sind - wie deren jetzige Umsetzung belegt, auch nicht etwa aus finanziellen oder sonstigen Gründen unzumutbar.

12. Gemäß § 847 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (Ziffer 2 des Klage- und Berufungsantrages) dem Grunde nach gegeben.

[Zum Umfang der Verletzungen der Klägerin]

[Verfahrensfragen: Grundurteil, Feststellungsinteresse]

[S. 49]

13. Schließlich steht der Klägerin gemäß § 844 Abs. 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Zahlung des Unterhaltsausfallschadens wegen der Tötung des Ehemanns [...], der unstreitig bei dem Lawinenunglück getötet worden ist, zu.

[Zu den weiteren Voraussetzungen des § 844 Abs. 2 BGB]

[S. 50]

[...]

III. Nebenentscheidungen: [...]



Die allgemeinen Geschäftsbedingungen des DAV Summit Club

                        Mangelhafte Erfüllung des Reisevertrages/
                        Anspruchsvoraussetzungen/Verjährung

                        Die Ansprüche des Teilnehmers bei
                        Mangelhaftigkeit der Reise richten sich nach den
                        Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts (§ 651 c – f
                        BGB). Das gleiche gilt für den Ausschluß unserer
                        Gewährleistung sowie für die Verjährung von
                        Gewährleistungsansprüchen (§ 651 g BGB). Ein
                        Schadenersatzanspruch des Teilnehmers (§ 651 f
                        BGB) unterliegt jedoch den in Nummer 10
                        genannten Einschränkungen.
 

Nr. 10 Beschränkung der Haftung

                        Die vertragliche Haftung des Reiseveranstalters für
                        Schäden, die nicht Körperschäden sind, ist auf den
                        dreifachen Reisepreis beschränkt, soweit ein
                        Schaden des Reisenden weder vorsätzlich noch
                        grob fahrlässig herbeigeführt wird oder soweit der
                        Reiseveranstalter für einem dem Reisenden
                        entstehenden Schaden allein wegen eines
                        Verschuldens eines Leistungsträgers verantwortlich
                        ist. Die DAV Summit Club GmbH haftet in gleicher
                        Weise auch für ihre Erfüllungsgehilfen.

                        Ein Schadenersatzanspruch gegen den
                        Reiseveranstalter ist insoweit beschränkt oder
                        ausgeschlossen, als aufgrund internationaler
                        Übereinkommen oder auf solchen beruhenden
                        gesetzlichen Vorschriften, die auf die von einem
                        Leistungsträger zu erbringenden Leistungen
                        anzuwenden sind, ein Anspruch auf Schadenersatz
                        gegen den Leistungsträger nur unter bestimmten
                        Voraussetzungen oder Beschränkungen geltend
                        gemacht werden kann oder unter bestimmten
                        Voraussetzungen ausgeschlossen ist.

                        Bei sämtlichen Reisen außerhalb des
                        Alpengebietes erfolgt die Teilnahme im Hinblick auf
                        den bergsteigerischen Teil der Reiseveranstaltung
                        auf der Basis als selbständiger Bergsteiger. Die
                        Bergbesteigungen erfolgen in eigener
                        Verantwortung und auf eigenes Risiko.

                        Bei Kursen, Führungen, Trekkings und Expeditionen
                        ist zu beachten, daß gerade im Bergsport ein
                        erhöhtes Unfallrisiko besteht (Lawinen, Steinschlag,
                        Spaltensturz etc.), das auch durch umsichtige und
                        fürsorgliche Betreuung der vom DAV Summit Club
                        eingesetzten Bergführer nicht vollkommen reduziert
                        und ausgeschlossen werden kann. Hier wird von
                        jedem Teilnehmer ein erhebliches Maß an
                        Eigenverantwortung und Umsichtigkeit
                        vorausgesetzt.


Die in der Entscheidung zitierten Rechtsvorschriften aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG)

Außervertragliches Schadenersatzrecht:

§ 823 BGB [Schadensersatzpflicht]

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

§ 831 BGB [Haftung für den Verrichtungsgehilfen]

(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.

§ 844 BGB [Ersatzansprüche Dritter bei Tötung]

(1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.

(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnisse, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung erzeugt, aber noch nicht geboren war.

§ 847 BGB [Schmerzensgeld]

(1) Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.

(2) Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird.

Die Vorschriften über den Reisevertrag

§651a BGB [Pflichten der Vertragsparteien]

(1) Durch den Reisevertrag wird der Reiseveranstalter verpflichtet, dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen (Reise) zu erbringen. Der Reisende ist verpflichtet, dem Reiseveranstalter den vereinbarten Reisepreis zu zahlen.

(5) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft durch Rechtsverordnung zum Schutz der Verbraucher bei Reisen Festsetzungen zu treffen, durch die sichergestellt wird, daß die Beschreibungen von Reisen keine irreführenden, sondern klare und genaue Angaben enthalten und daß der Reiseveranstalter dem Verbraucher die notwendigen Informationen erteilt. Zu diesem Zweck kann insbesondere bestimmt werden, welche Angaben in einem vom Veranstalter herausgegebenen Prospekt und in dem Reisevertrag enthalten sein müssen sowie welche Informationen der Reiseveranstalter dem Reisenden vor dem Vertragsabschluß und vor dem Antritt der Reise geben muß.

§ 651c BGB [Gewährleistung und Abhilferecht]

(1) Der Reiseveranstalter ist verpflichtet, die Reise so zu erbringen, daß sie die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrage vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern.
 

§ 651f BGB [Schadensersatz]

(1) Der Reisende kann unbeschadet der Minderung oder der Kündigung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, es sei denn, der Mangel der Reise beruht auf einem Umstand, den der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat.

(2) Wird die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt, so kann der Reisende auch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

§ 651h BGB [Haftungsbeschränkung]

(1) Der Reiseveranstalter kann durch Vereinbarung mit dem Reisenden seine Haftung für Schäden, die nicht Körperschäden sind, auf den dreifachen Reisepreis beschränken,

1. soweit ein Schaden des Reisenden weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt wird, oder

2. soweit der Reiseveranstalter für einen dem Reisenden entstehenden Schaden allein wegen eines Verschuldens eines Leistungsträgers verantwortlich ist.

§ 651l BGB [Keine Abweichung zum Nachteil der Reisenden]

Von den Vorschriften der §§ 651a bis 651k kann nicht zum Nachteil des Reisenden abgewichen werden.

Sonstige Vorschriften

§ 278 BGB [Haftung für Erfüllungsgehilfen]

Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 2 findet keine Anwendung.

AGBG § 11 Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unwirksam

Nr. 7. (Haftung bei grobem Verschulden)

ein Ausschluß oder eine Begrenzung der Haftung für einen Schaden, der auf einer grob fahrlässigen Vertragsverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruht; dies gilt auch für Schäden aus der Verletzung von Pflichten bei den Vertragsverhandlungen;



Das Balkonsturzurteil
- BGHZ 103, 298 = NJW 1988, 1380 -

Leitsatz: Zur Haftung des Reiseveranstalters aus unerlaubter Handlung für Mängel einer Hotelanlage, die ein von ihm unter Vertrag genommener Leistungsträger betreibt.

Tatbestand

Der Kläger ... buchte bei der beklagten Reiseveranstalterin eine dreiwöchige Pauschalflugreise ...  In der Frühe des Rückreisetags stürzte er von dem Balkon seines Zimmers im Obergeschoß des Vertragshotels der Beklagten; das Holzgeländer der Balkonbrüstung hatte sich gelöst.

Aus den Gründen:

III. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung und damit den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch. Die Leiter des Vertragshotels seien nicht Verrichtungsgehilfen der Beklagten im Sinne des § 831 BGB gewesen. Eine eigene Verkehrssicherungspflicht habe die Beklagte und ihre Reiseleiter am Urlaubsort ohne besondere Veranlassung nicht getroffen. Eine eigene Pflichtverletzung im Zusammenhang mit Beschaffenheit und Sicherheitsmängeln der Hotelanlage könne nämlich einem Reiseveranstalter nur dann vorgeworfen werden, wenn besonderer Anlaß zu einer Überprüfung bestehe oder wenn ein Mangel offensichtlich oder bereits beanstandet worden sei. Daran fehle es hier.
Auch dies greift die Revision mit Erfolg an.
Leistungsträger der Reiseveranstalter können zwar im allgemeinen nicht als deren Verrichtungsgehilfen angesehen werden, weil es an der dafür erforderlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit fehlt (vgl. Senat BGHZ 45, 311, 313; LG Frankfurt NJW 1985, 2424; Tempel, Materielles Recht im Zivilprozeß, 1983, S. 273). Die eigene Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters geht jedoch weiter, als das Berufungsgericht meint, und ist hier verletzt worden.
1. Nach gefestigter Rechtsprechung ist derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern läßt und in der Lage ist, ihr abzuhelfen, grundsätzlich auch verpflichtet, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden (vgl. BGH NJW 1985, 1773, 1774; 1987, 1013). Dazu ist nicht erforderlich, daß er selbst zum Entstehen der Gefahr beigetragen hat. Als Zustandsverantwortlichkeit trifft diese Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den jeweiligen Eigenbesitzer oder Unterhaltungspflichtigen. Als Folgepflicht aus der Verkehrseröffnung obliegt die Verkehrssicherung demjenigen, der den Verkehr eröffnet hat, als Berufs- oder Amtspflicht demjenigen, in dessen beruflichen oder amtlichen Aufgabenkreis die Verkehrssicherung fällt (vgl. Mertens in MünchKomm, BGB, 2. Aufl., § 823 Rdn. 192).
Danach trifft hier die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den Betreiber des Vertragshotels der Beklagten auf Gran Canaria (vgl. zu den Sorgfaltspflichten eines Hoteliers BGH, Urteil vom 20. Juni 1978 - VI ZR 18/77 = VersR 1978, 869; zur Sicherung eines Terrassengeländers OLG Stuttgart VersR 1975, 68). Für dessen unerlaubte Handlung gegenüber dem Kläger haftet die Beklagte deliktsrechtlich nicht. Dies schließt jedoch ihre gesamtschuldnerische Haftung für eigenes Verschulden nicht aus. Denn auch den Reiseveranstalter trifft eine Verkehrssicherungspflicht bei Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen. Sie erstreckt sich nicht nur auf Auswahl und Kontrolle des eigenen Personals und eigener Transportmittel, sondern auch auf Auswahl und Kontrolle der Leistungsträger, so der Vertragshotels.
2. Grundsätzlich sind bei Ausübung eines Gewerbes diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74 = VersR 1975, 812; VersR 1978, 869). Danach ist für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm nach dem Gesetz und den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen. Denn die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich auch Verkehrssicherungspflichten (vgl. von Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 49-51; Steffen in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdn. 155, 259).
Mit seinem Reiseangebot übernimmt der Veranstalter Planung und Durchführung der Reise. Nach Abschluß des Reisevertrages haftet er insoweit für den Erfolg. Er trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens seiner Reiseveranstaltung (Senat BGHZ 85, 50, 58; 100, 157, 166 jeweils m.w.N.). Der Reisende darf daher darauf vertrauen, daß der Veranstalter alles zur erfolgreichen Durchführung der Reise Erforderliche unternimmt (Senat NJW 1985, 1165). So gehört zu den Grundpflichten des Reiseveranstalters die sorgfältige Auswahl der Leistungsträger im Hinblick auf deren Eignung und Zuverlässigkeit (Senat BGHZ 100, 185, 189). Darin erschöpft sich jedoch seine Verantwortung für die Vertragserfüllung durch Leistungsträger nicht. Er muß auch regelmäßig den jeweiligen Umständen entsprechend seine Leistungsträger und deren Leistungen überwachen (vgl. auch Bartl, Reiserecht, 2. Aufl., Rdn. 8 S. 26; Tempel aaO S. 257; Löwe in MünchKomm § 651a Rdn. 16; Staudinger/Schwerdtner, BGB 12. Aufl., § 651a Rdn. 97; vgl. ferner Begründung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag - BT-DS 8/786 S. 16/17 - und Nr. 9.1.2 der vom Deutschen Reisebüroverband e.V. empfohlenen Allgemeinen Reisebedingungen 1984 - BAnz Nr. 240/83 vom 23. Dezember 1983 - abgedruckt bei Staudinger/Schwerdtner, Vorbem. 6 zu §§ 651a ff., und bei Tonner aaO, Anhang).
3. Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel als Leistungsträger unter Vertrag, so muß er sich zuvor vergewissern, daß es nicht nur den gewünschten oder angebotenen Komfort, sondern auch ausreichenden Sicherheitsstandard bietet. Dabei mag er im Inland weitgehend auf die bau-, feuer- und gesundheitspolizeiliche Genehmigung und Überwachung vertrauen und sich auf Stichproben beschränken dürfen, wenngleich ihn solche behördliche Kontrolle nicht ohne weiteres entlastet (vgl. BGH NJW 1985, 620, 621). Im Ausland jedoch kann er sich darauf erfahrungsgemäß keinesfalls verlassen, weil dort vielfach sowohl für die Vorschriften als auch für die behördliche Überwachung andere Maßstäbe gelten. Dort muß er sich davon überzeugen, daß z.B. von Treppen und Aufzügen, elektrischen Anlagen und sonstigen Einrichtungen keine Gefahren für die von ihm unterzubringenden Hotelgäste ausgehen (vgl. etwa LG Frankfurt NJW 1977, 1687, 1688).
Ist das Vertragshotel einmal für in Ordnung befunden worden, so befreit dies den Veranstalter nicht von der Pflicht, es regelmäßig durch einen sachkundigen und pflichtbewußten Beauftragten daraufhin überprüfen zu lassen, ob der ursprüngliche Zustand und Sicherheitsstandard noch gewahrt ist. Wie häufig und in welchem Umfang eine solche Kontrolle geboten ist, hängt von den Umständen ab. So kann es darauf ankommen, wie solide der Hotelbau und seine Einrichtung erstellt worden sind, wie stark das Hotel einerseits durch häufigen Gästewechsel "verwohnt", andererseits durch das Personal gepflegt wird, in welchem Umfang ständig kleine Mängel nach Beanstandungen oder auch ohne sie beseitigt werden und wie lang die Belegungssaison üblicherweise dauert. Dabei mögen von Fall zu Fall gelegentliche Stichproben ausreichen. Bei leichter, oft wenig solider Bauweise, wie sie in südlichen Urlaubsregionen häufig anzutreffen ist, und bei ständig wechselnder Belegung kann aber eine solche Kontrolle zu Beginn jeder Saison allenfalls den Mindestanforderungen an die Verkehrssicherungspflicht genügen.
4. Der Senat teilt nicht die Meinung der Beklagten (und des LG Frankfurt NJW 1985, 2424), den Reiseveranstalter treffe grundsätzlich nach sorgfältiger Auswahl der Ferienunterkünfte keine eigenständige Verkehrssicherungspflicht, es sei denn, Sicherungsmängel seien offensichtlich oder ihm mitgeteilt worden.
a) Die vertragliche Verpflichtung des Reiseveranstalters gegenüber dem Reisenden beschränkt sich eben nicht auf die bloße Vermittlung von Transportmitteln und Unterkünften. Vielmehr hat er diese Leistungen in eigener Verantwortung zu erbringen. Somit ist er für die Sicherheit der Hotels und Ferienwohnungen selbst mitverantwortlich, mag auch die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie den Betreiber treffen, den er sich zum Leistungsträger gewählt hat. So erwartet denn der Reisende von ihm zu Recht mehr als von einer Agentur, die lediglich ein Hotel im Ausland vermittelt hat. Der Reiseveranstalter trägt dem weithin dadurch Rechnung, daß er in den Ferienorten örtliche Reiseleiter oder Betreuer unterhält, die sich nicht nur um die Reisenden, sondern auch um deren Unterkünfte und sonstige Reiseleistungen (Sport, Unterhaltung, Ausflüge) kümmern und bei denen Beanstandungen angebracht werden können.
b) Nimmt ein Reiseveranstalter ein Hotel, eine Wohnungs- oder Ferienanlage unter Vertrag, so versteht es sich aus der Natur des Vertrages - auch im Ausland - von selbst, daß er zu angemessener Zeit berechtigt sein muß, diese Unterkünfte von sachkundigen Beauftragten besuchen und überprüfen zu lassen. Eine Verweigerung der Kontrolle oder der Beseitigung festgestellter Sicherheitsmängel müßte den Reiseveranstalter zur Kündigung des Unterbringungsvertrages und zur vorsorglichen Warnung der von ihm dort noch untergebrachten Reisenden veranlassen.
c) Es ist ihm auch zuzumuten, für die regelmäßige Kontrolle der unter Vertrag genommenen Unterkünfte und Ferieneinrichtungen Personen einzusetzen, die über hinreichende Sachkunde und kritische Sicht verfügen. Das brauchen keine Techniker zu sein; erfahrene Reiseleiter oder Beschaffer von Unterkünften dürften in der Regel dazu fähig sein. Von ihnen wird nicht die Entdeckung verborgener Mängel erwartet, sondern die Feststellung von Sicherheitsrisiken, die sich bei genauerem Hinsehen jedermann offenbaren.
d) Da aber nicht jeder Reisegast an Sicherheitsmängeln Anstoß nimmt, solange sie ihn nicht persönlich berühren, oder er sich vielfach zunächst an die Leitung des Hotels oder der Ferienanlage wendet, um Abhilfe zu erlangen, kann der Reiseveranstalter seiner Verkehrssicherungspflicht und der seiner Beauftragten am Ort nicht dadurch genügen, daß er erst auf Mängelrüge hin tätig wird. In weitläufigen Ferienanlagen oder in Ferienorten mit zahlreichen Hotels sind die örtlich verantwortlichen Reiseleiter oder Hausmeister nicht so oft und leicht zu erreichen, daß erwartet werden kann, der Reisende werde einen Mangel bei ihnen und nicht beim Leistungsträger melden.
So hat denn auch hier der Reisende Ha., der im Zimmer neben dem des Klägers wohnte und bei dem das Balkongitter genau so lose war wie das vor dem Zimmer des Klägers, diesen erheblichen Sicherheitsmangel zwar der Hotelleitung, nicht aber dem Hauptreiseleiter K. oder der Reisehelferin W. gemeldet, mit dem Ergebnis, daß bis zu dem Unfall nichts geschehen ist. Der Reisende Hö., der zuvor im Zimmer nebenan gewohnt hatte, hat von einer Beanstandung des Balkongitters bei der Hotelleitung abgesehen, weil er sie für sinnlos hielt, nachdem seine Beschwerde über Wasserversorgung und Zustand elektrischer Geräte erfolglos geblieben war. Das macht deutlich, daß der Reiseveranstalter sich grundsätzlich nicht darauf verlassen darf, schwerwiegende Sicherheitsmängel würden seinen Vertretern am Urlaubsort alsbald von den Reisenden mitgeteilt werden, so daß rechtzeitig Abhilfe geschaffen werden könne.
e) Will man (wie das LG Frankfurt aaO) schließlich zur Abgrenzung der Verkehrssicherungspflichten vergleichsweise auf das Rechtsverhältnis Bauherr/Architekt zum Bauunternehmer abstellen, so hat der Senat bereits darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung in "primäre" und "sekundäre" (oder "subsidiäre") Pflichten hier nicht weiter hilft. Der mit der örtlichen Bauaufsicht betraute Architekt wird zwar erst selbst verkehrssicherungspflichtig, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Bauunternehmer seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nachkommt; der als Bauführer tätige Architekt muß aber die Gefahren auch bemerken und darf seine Augen davor nicht verschließen, um dem Haftungsrisiko zu entgehen (BGHZ 68, 169, 176).
Ähnlich ist es im Reisevertragsrecht: Der Reiseveranstalter und seine Beauftragten müssen selbst wachsam sein und dürfen sich nicht darauf verlassen, daß dies die Reisenden oder die Leistungsträger tun und sich um Abhilfe bemühen. Dabei lassen sich allerdings die Quartiere der Reisenden nicht ohne weiteres mit einer Baustelle vergleichen, bei der ein Sicherheitsmangel in der Regel offen zu Tage liegt. Die Vertreter der Reiseveranstalter müssen schon z.B. die Treppen und Flure, die Aufzüge und Zimmer selbst betreten und überprüfen, etwa wenn die Belegung in bestimmten Zeitabständen wechselt und der Zustand der Zimmer, Bäder und Balkone am leichtesten zu kontrollieren ist. Das braucht nicht ständig zu geschehen, aber in einer den örtlichen Umständen angemessenen Regelmäßigkeit, um zwischenzeitlich entstandene Gefahren zu beseitigen. Dazu gehört auch die Festigkeit von Balkonbrüstungen.
Der Reiseveranstalter ist somit aufgrund seiner eigenen gewerblichen Verkehrssicherungspflicht gehalten, die von ihm durch Leistungsträger verschafften Unterkünfte auch ohne besonderen Anlaß den Umständen entsprechend regelmäßig sorgfältig auf ihre Gebrauchssicherheit zu überprüfen und dabei entdeckte Mängel umgehend abstellen zu lassen.
5. Dieser Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte zugestandenermaßen nicht genügt. Sie hat lediglich vorgebracht, ihr sei der Zustand der Balkonbrüstung nicht mitgeteilt worden, dieser sei auch von der Straße her nicht zu erkennen gewesen und so habe für ihre Vertreter kein Anlaß zur Überprüfung bestanden. Damit kann sie sich - wie dargelegt - nicht entlasten. Auch ihrer Behauptung, das Hotel sei zu Beginn der Saison vom Betreiber und der Tourismusbehörde "routinemäßig" überprüft worden, hat das Berufungsgericht zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Denn der Mangel wäre bei näherem Zusehen und Anfassen des Gitters leicht festzustellen gewesen. Die angebliche Kontrolle kann daher nur sehr flüchtig ausgefallen sein und die Beklagte von der eigenen Prüfungspflicht nicht entbinden. Nach ihrem Vortrag spricht nichts dafür, daß ihre Reiseleiter das Zimmer des Klägers oder das Nebenzimmer je betreten und die Balkongitter überprüft hätten.
Kommen somit zum Anspruchsgrund weitere Feststellungen nicht in Betracht, kann der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO insoweit in der Sache selbst entscheiden:
Die Beklagte ist schuldhaft ihrer gewerblichen Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen und hat damit ursächlich auch den Körper des Klägers verletzt; sie ist diesem daher gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz des unfallbedingten Schadens verpflichtet. Der Schmerzensgeldanspruch (§ 847 BGB) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.



Tunesischer Reitunfall
- BGH NJW 2000, 1188 -

Leitsatz

1. Die Leistungsverpflichtungen des Veranstalters von Pauschalreisen ergeben sich aus der Reisevertragsbestätigung in Verbindung mit der Reisebeschreibung in dem vom Veranstalter herausgegebenen Reiseprospekt.
2. Ein Veranstalter von Clubreisen, der umfangreiche Sportmöglichkeiten anbietet, ist nicht nur verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die in der Reisebeschreibung genannten Sportmöglichkeiten überhaupt vorhanden sind; vielmehr hat er auch dafür einzustehen, daß die zur Ausübung der Sportarten erforderlichen Clubeinrichtungen und Ausstattungen in einer für den Reisenden geeigneten Weise zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, liegt ein Reisemangel vor.

Tatbestand

Die Beklagte, ein großes Reiseunternehmen, bietet in mehreren Ländern Pauschalurlaubsreisen in jeweils "Club ..." genannten Ferienclubs an... . In dem Reiseprospekt der Beklagten, in dem der "Club ... Tunesien" beschrieben ist, werden den Reisenden umfangreiche Sportmöglichkeiten angeboten, die vor Ort gegen Entgelt gebucht werden können. Unter anderem wird auf einen Reitstall mit 16 Pferden (Araber, Berber) auf dem Clubgelände, auf Reitkurse und Reitausflüge hingewiesen.
Der Ehemann der Klägerin  ... (nachfolgend: Erblasser) buchte für sich und seine Familie bei der Beklagten ... eine Pauschalreise mit Flug und Aufenthalt im "Club ... Tunesien". Am ... nahm er an einem zweistündigen Ausritt teil, den er beim "Club ..." gebucht und bezahlt hatte. Als das Pferd einer 13-jährigen Mitreiterin nervös wurde, übernahm es der Erblasser. Nachdem das Pferd erneut nervös geworden war, stieg der Erblasser ab und hielt es am Zügel fest. In diesem Augenblick sprang das Pferd mit allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft und traf den Erblasser am linken Knie. Dieser erlitt [Verletzungen, an deren Folgen er verstarb].

Aus den Gründen

II. 1. Das Berufungsgericht hat ferner einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung und damit zugleich den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch verneint (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB). Angesichts der Werbung, die die Beklagte in ihrem Reiseprospekt für den Reitsport gemacht habe, sei eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen; es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagten das "problematische" Verhalten des Pferdes "Mistral" vor dem Unfall am 25. Dezember 1994 bekannt gewesen sei.
2. Auch diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) [...]
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der Reiseveranstalter bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen Verkehrssicherungspflichten zu beachten (BGHZ 103, 298, 303 ff.). Indem der Reiseveranstalter an sich fremde Reiseleistungen als eigene anbietet, eröffnet er im Rahmen seiner Gewerbeausübung eine Gefahrenquelle für Dritte. Das verpflichtet ihn, die Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um seine Kunden vor Schäden zu bewahren, die bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reise entstehen können. Diese Verpflichtung betrifft nicht nur die Auswahl und Kontrolle des eigenen Personals und eigener Transportmittel. Der Reiseveranstalter muß darüber hinaus auch die von ihm eingesetzten Leistungsträger im Hinblick auf deren Eignung und Zuverlässigkeit sorgfältig aussuchen und diese sowie deren Leistungen regelmäßig, den jeweiligen Umständen entsprechend, überwachen (BGH, aaO, 305).
Diese Überwachungsverpflichtung erstreckt sich auch auf die Sicherheit der Einrichtungen eines Leistungsträgers, die vor Ort bei dem Leistungsträger gebucht werden, wenn der Veranstalter durch die Gestaltung seines Prospekts bei den Reisekunden den Eindruck erweckt hat, daß er für die Qualität auch dieser Einrichtungen sorgen werde. Denn dann gehört die Qualität dieser Einrichtungen mit zum Erfolg der Reise, für die der Veranstalter nach Abschluß des Reisevertrages haftet. Der Reisende darf darauf vertrauen, daß der Veranstalter auch insoweit alles Erforderliche zur erfolgreichen Durchführung der Reise unternimmt. Entsprechend muß er auch im Hinblick auf diese Einrichtungen des Leistungsträgers die notwendigen und ihm zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen, um Schaden von den Reisenden zu wenden. Dazu gehört insbesondere die Überwachung der Einrichtungen auf die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsstandards.
In aller Regel ist dem Reiseveranstalter eine Kontrolle auch gesondert zu buchender Einrichtungen des Leistungsträgers aufgrund des mit diesem bestehenden Vertragsverhältnisses ohne weiteres möglich. Darin kann sich der Reiseveranstalter Kontrollen oder Auskunftsrechte auch hinsichtlich dieser Einrichtungen vorbehalten. Der Leistungsträger wird auch deshalb im allgemeinen bereit sein, dem Veranstalter die erforderlichen Kontrollen zu ermöglichen und die notwendigen Auskünfte zu geben, weil eine Prospektgestaltung, in der der Veranstalter beim Reisenden die Vorstellung begründet, auch für das Vorhandensein und die Benutzbarkeit erst vor Ort beim Leistungsträger zu buchender Einrichtungen einzustehen, vermehrt Kunden anziehen wird. Weigert sich der Leistungsträger gleichwohl, die erforderlichen Auskünfte zu geben, eine Kontrolle der Einrichtungen zuzulassen oder festgestellte Sicherheitsmängel zu beseitigen, müßte dies den Reiseveranstalter zu einer Änderung seiner Prospektangaben und zur vorsorglichen Warnung der vor Ort befindlichen Reisenden veranlassen (vgl. BGH, aaO, 306 f.).
Ist die betreffende Einrichtung ein Pferdestall, der von dem Vertragshotel bzw. Vertragsferienclub betrieben wird und von dem Reitausflüge organisiert werden, muß sich der Veranstalter darüber informieren, ob die bei den Ausflügen eingesetzten Pferde die dafür erforderliche Eignung und Zuverlässigkeit besitzen. Da der Veranstalter den Pferdestall nicht selbst betreibt und deshalb nicht in ständigem Kontakt mit den Pferden ist, wird er sich in angemessenen Abständen bei dem Betreiber des Reitstalls über die Zuverlässigkeit der Pferde zu erkundigen haben. Er darf sich nicht darauf verlassen, daß ihm das Vertragshotel, der Vertragsferienclub oder der Reisende erst Vorfälle mitteilen, die die Eignung und die Zuverlässigkeit der Pferde in Frage stellen (vgl. auch BGH, aaO, 307 f., d)).
Dieser Verkehrssicherungspflicht ist die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen nicht nachgekommen. Sie hat sich dahin eingelassen, für sie habe kein Anlaß bestanden, an der Zuverlässigkeit des Pächters des "Club ..." oder der von ihm eingesetzten graduierten Reitlehrer zu zweifeln oder die Praxis der Ausgabe der Pferde zu beanstanden. Das kann sie nicht entlasten.
Das Berufungsgericht wird jedoch weiter zu prüfen haben, ob der Verstoß der Beklagten gegen ihre Verkehrssicherungspflicht auch ursächlich für den Unfall des Erblassers gewesen ist. Wie dargelegt, wäre dies auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger, wonach bereits vor dem Unfall des Erblassers die Zeuginnen T. und L. Unfälle mit dem Pferd "Mistral" gehabt hatten, wovon sich die Beklagte durch Nachfragen bei dem Betreiber des Pferdestalls hätte Kenntnis verschaffen können, der Fall gewesen, während nach den Darlegungen der Beklagten die Unfälle mit anderen Pferden erfolgt sind und sich zudem einer der beiden Unfälle erst nach dem Unfall des Erblassers ereignet hat. Das Berufungsgericht wird daher den von den Parteien zum Hergang der beiden Unfälle angebotenen Beweis erheben müssen, wobei davon auszugehen ist, daß den Klägern der Nachweis obliegt, daß ein den Verkehrssicherungspflichten entsprechendes Verhalten den Eintritt der Rechtsverletzung verhindert hätte (Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 823 Abs. 1 BGB Rdn. 16).