Hermann
von Barth:
Im Roßloch.
(ursprünglich im Alpenfreund 1875 veröffentlicht, abgedruckt
in den Gesammelten Schriften des Freiherrn Hermann von Barth, München,
1926, S. 789 ff.)
Wenn ich heute die Feder ergreife, um den Lesern des ,,Alpenfreund"
die Schilderung einer vor manchen Jahren unternommenen Bergwanderung vorzuführen,
so geschieht dies in der Absicht, der Reihenfolge meiner früheren,
teils zerstreuten, teils in Gruppen vereinigten Abhandlungen über
das Karwendel-Gebirge gewissermaßen einen Schlußstein einzusetzen.
Ich wünschte in der noch so unvollständigen Literatur über
die Nördlichen Kalkalpen wenigstens eine Lücke ausgefüllt
zu wissen, welche, wie mir scheint, eine der am schwersten empfundenen
ist, oder doch, bei genauerer Kenntnis dieser Gebirge, es werden könnte.
Nicht ein einzelner, hervorragender Gipfel ist es, dessen Besteigung zu
erzählen diesen Zeilen zur Aufgabe fällt; eine lange Kette von
unbekannten Felsenzinnen, ein Knotenpunkt hervorragendsten Ranges, ein
wahres Herz einer Gebirgsgruppe soll hier seine orographische Beschreibung
und seinen Wegweiser erhalten für etwaige künftige Besucher.
Ich darf bei meinen Lesern vielleicht bereits einige Kenntnis der orographischen
Strukturverhältnisse im Quellengebiete der Isar voraussetzen, wie
ich dieselbe in früheren Abhandlungen zu wiederholten Malen dargelegt
habe: des Gebirgsaufbaues in langgestreckten Parallelketten, zwischen welchen
die östlichen Quellentäler der Isar einer-, einige Seitentäler
des Inn andererseits verlaufen. Die Wasserscheide zwischen ihnen bilden
Joche von größerer oder geringerer Erhebung, stets jedoch niedriger
als die Hauptkämme, welche - unbekümmert um die hydrographische
Grenze - ununterbrochen von West nach Osten streichen. Die Joche bilden
entweder einen einfachen, zwischen die Gipfelreihen der beiderseitigen
Hauptkämme eingesenkten Bergsattel, so an der Hochalpe zwischen dem
Karwendel- und Johannestale, oder selbst wieder eine gipfeltragende Felsenkette,
wie der Kamm des Roßkopf, welcher die dritte mit der vierten Parallelkette
verbindet und am Stempeljoch den Übergang aus dem Gleirsch- ins Halltal
gestattet; - oder endlich die Querkette biegt, ohne den nächsten Hauptkamm
zu berühren, wieder um, und wird zu einer neuen Parallelkette, welche
die Bildung sekundärer Längetäler veranlaßt. Das letztere
ist zwischen der zweiten und dritten Parallelkette, dem Hinterau-Vompertaler
und dem Gleirsch-Halltaler
Kamme der Fall.
Die Hinterautaler Kette, welche
im Ödkar- und Birkkarspitz die bedeutendsten
Gipfelpunkte im Isar-Quellengebiete und - mit einziger Ausnahme des Großen
Bettelwurfes im Halltale195 [Fn.: Irrtum Barths. Birkkarspitze
(2756 m), Ödkarspitze (2747m) und Kaltwasserkarspitze (2734 m) sind
höher als der Bettelwurf.] - der ganzen Karwendelgruppe [S. 790] trägt,
erfährt, fast gleichzeitig mit dem Tale, dessen Nordrand sie begleitet,
und dessen Namen sie trägt, einen gewissen Abschluß, welcher
die Fortsetzung ihres Kammes als ein in mancher Hinsicht für sich
abgesondertes Glied betrachten läßt. Das Hinterautal als solches
schließt auf der Talebene ,,Am Kasten" -wo eine dürftige Alpe
und ein stattliches, dem Fürsten Hohenlohe gehöriges Jagdhaus
sich befindet - ab; als ein mächtiger Felsenpfeiler bricht das Ende
des Suntiger-Kammes auf die Talsohle
nieder, links davon öffnet sich die Pforte eines engen, öden
Tälchens, dessen Hintergrund ein Wall steiler Mauern sperrt, gekrönt
von den gleichen Gipfeln, welche man draußen bei der Scharnitz und
während der Wanderung durch das Hinterautal herauf in rätselhafter
Ferne schimmern sah.
Es ist das Roßloch, die geradlinige und ununterbrochene Fortsetzung
des Hinterautales, im orographischen Sinne das eigentliche Quellental der
Isar. Rechts vom Suntiger erhebt sich
eine hohe, von Wald und Krummholz nur teilweise überkleidete Bergstufe,
durchspalten von finsterer Klamm, aus welcher der Lafatschbach, die wasserreichste
Quellader der Isar, herausgestürmt kommt; zur trockenen Jahreszeit
verliert er sich wohl noch einmal im Schutte des Talbodens, und daher rührt
es denn, daß auf den Karten der Isar-Ursprung mitten ins Hinterautal
verlegt wird.
Oberhalb dieser Bergstufe zieht das breite, von mehreren Alphütten
besiedelte Lafatschtal sich hin. In sehr geringer Steigung kulminiert seine
breite Sohle am sogenannten ,,Überschall" hinter dein Haller Anger,
von wo aus ein steileres Gehänge zur düsteren Tiefe des Vomper
Lochs sich absenkt. Andererseits vermittelt das gut gangbare Lafatscher-Joch
die Verbindung mit dem Halltale und nach dem Inn hinaus.
Die Hinterautaler Kette drängt ihre langen Strebepfeiler - die
Zweiggrate des Breitgrieskar-, des Seekarspitzes, die vom Ödkarspitz
ausgehenden Birkköpfe, die mit dem Heißenkopf endigenden Ausläufer
der Kaltwasserkarspitze und endlich die Sonnenspitzen -weit ins Hinterautal
herein, und veranlaßt dadurch die Bildung ziemlich beträchtlicher
Nebentäler, während die Gipfel des Hauptkammes sehr weit gegen
Norden abgerückt sind und von der Talsohle aus nur selten wahrnehmbar
werden. Am ,,Kasten" fällt vorzugsweise der mit stahlgrauen Platten
gepanzerte, dreieckförmige Absturz des Heißenkopfes in die Augen,
welcher zwischen dem Birk- und dem Moserkare sich erhebt. Taleinwärts
sperren die breiten Grundmauern der Sonnenspitzen fast die ganze Breite
der bisherigen Talsohle und, an das Fundament des Suntiger anstoßend,
bilden sie die eigentliche Eingangspforte zum Roßloch.
Auf dem langen, zahnigen Grate seines Scheitels trägt das Massiv
der Sonnenspitzen zwei Gipfel, deren nördlicher - ein plumper, runder
Kopf mit drei fast senkrechten Absturzseiten - die prachtvolle Turmgestalt
bildet, welche aus ihrer schwindelnden Höhe, über unangreifbaren
Wänden thronend, so stolz auf das Talbecken von Ladiz hinunterschaut.
Dieser Nördliche Sonnenspitz steht im Hauptkamme; der durch eine lange,
zerrissene Felsschneide mit ihm verbundene Südliche Sonnenspitz dagegen
in dem das Moserkar vom Roßloch trennenden [S. 792] Nebenkamme. Es
ist dies einer der zwei einzigen Ausnahmefälle von der sonst im Karwendel
geltenden Regel, daß kein Punkt eines Zweiggrates den Abschnitt des
Hauptgrates, welchem er zugehört, an Höhe übertrifft.
Die Sonnenspitzen sind orographisch noch als zur Umwallung des Moserkars
gehörig zu betrachten; ihr östlicher Absturz aber stellt seinen
Fuß bereits in das Bockkar, das westlichste der kleinen, hochgelegenen
Schuttäler im Roßloch, und der Nördliche Sonnenspitz kann
als der nordwestliche Grenzpfeiler des letzteren angesehen werden.
Der Hauptgrat, welcher in seinem weiteren, östlichen Verlaufe
einerseits den Rand der hügeligen Terrassen und flachen Kare des Roßlochs
umsäumt und dessen Gipfelzinnen - aus dieser Richtung gesehen - nur
wenig bedeutende, großenteils schuttbedeckte Erhebungen darstellen,
andererseits dagegen mit seinen gewaltigen, über 1000 m hohen Steilwänden
auf den Talboden von Laliders hinunterstürzt, erfährt vom Nördlichen
Sonnenspitze ab zunächst eine bedeutende Depression; aus ihm erhebt
sich - nahe dem Sonnenspitz und gewissermaßen noch als ein Anhängsel
des letzteren erscheinend - der krumme Kegel des Bockkarspitzes, dann folgt
die lange Kette der eigentlichen Roßloch-Spitzen - welche wir in
der Folge genauer werden kennen lernen - und der allmählich wieder
höher aufgestiegene Grat schließt die Reihe seiner Gipfel mit
dem breitgeschichteten, zwei wenig ausgeprägte Kulminationspunkte
tragenden Felsmassive des Grubenkarspitzes.
Bereits auf dem Scheitel des letzteren fängt der Grat an, gegen Südosten
sich abzukrümmen, und die Absenkung von dem zweiten und höchsten
Gipfel läuft fast gerade gegen Süd.
[Im
Bild die Roßlochspitze (2538 m, links) und Hochkanzel (2574 m, rechts)].
Durch tiefen Scharteneinschnitt vom Grubenkarspitze
abgetrennt, erhebt sich in der Mitte des Grates, welcher den Hintergrund
der weiten Hügelfelder und Schuttbecken des Roßkars sperrt,
eine hübsche, fast gleichseitige Pyramide, deren regelmäßige
Gestalt während der Wanderung durch das Hinterautal schon in die Augen
fallen mußte: es ist der ,,Roßkarspitz" - so wenigstens benannte
ich ihn seiner Stellung entsprechend, und wenn in der Karwendel-Gruppe
meine selbstgeschaffene Nomenklatur häufig genug die Lücken und
Unsicherheiten der ortsüblichen ergänzen muß, so ist sie
im Gebiete des Roßlochs fast das einzige, was ich in dieser Hinsicht
dem Leser zu bieten habe.280
Vom Roßlochspitze dann in südlicher Richtung weiterstreichend,
erhebt der Grat sich wieder zu mehrfachen, zerscharteten Mauerzinnen und
endlich zum säulenartig emporstrebenden Gipfelkegel der ,,Hohen Kanzel".
Vom Grubenkarspitze
bis hierher gehört die steile, jenseitige Flanke des Felsenkammes
dem Grubenkar an, der ersten der großen Hochtalmulden des Vomper
Lochs; die Vomper Kette löst von dem Umwallungskreise des Roßloch
auf dem südöstlichen, dem höchsten Gipfel des Grubenkarspitzes,
sich ab.
Die Hochkanzel bildet den zweiten Eckpunkt dieser Umwallung, von welchem
ab dieselbe wieder gegen Westen sich wendet, um ihren großen, nach
dieser Himmelsgegend geöffneten Halbzirkel zu vollenden. Mit diesem
mächtig das Vomper Loch überherrschenden Gipfel beginnt die zwischen
dem Hinterau- dem Gleirschtaler Kamme eingeschobene kurze Parallelkette,
welche mit [S. 793] dem größten Teile ihres Verlaufes das Lafatschtal
begrenzt und insoferne passend als die Lafatscher-Kette bezeichnet werden
könnte, wenn nicht die Verwechselung mit dem Abschnitte des Halltaler
Kammes, welcher die beiden Lafatscher (Gipfel) trägt, alsdann zu nahe
läge.
Steil, fast absatzlos, bricht die Hochkanzel ostwärts ins Vomper
Loch, auf die Talebene des ,,Hinteren Anger" nieder; die Strebepfeiler
ihres Fundaments engen die Mündung des Grubenkars ein. Von ihrem Scheitel
weg sinkt der Grat westwärts zu enger, durch einen kleinen Turm gespaltener
Scharte nieder, erhebt sich von dieser wieder zu einer dreieckigen Kegelpyramide,
und im unmittelbaren Anschlusse daran zur gestreckten Kuppe des Brandlspitzes,
des Hauptgipfels im linken Flügel der Umwallung des Roßlochs.
Als äußerst scharfe, zerhackte Felsenschneide setzt der Grat
gegen Westen sich fort zu einer um weniges hinter dem Brandlspitz an Höhe
zurückstehenden, flach gewölbten Kuppe [dem Gamskarlspitz], sinkt
von dieser in mehrfachen unbedeutenden Zacken und Felsspitzen ständig
herab, fällt dem Haller Anger gegenüber neuerdings um eine bedeutende
Stufe und zieht von dort ab als begraster und mit Buschwerk bewachsener
Rücken hinaus gen Westen, bis er mit dem Lafatschtale zugleich - in
steilem Abbruche sein Ende erreicht. Dieser letzten Kammstrecke kommt der
Name Suntiger im engeren Sinne zu.
Die Nordseite des ganzen Kammes, vom innersten Roßkar bis hinaus
zur Kasten-Alpe, bildet steile, allem Anschein nach unzugängliche
Mauern von 300 bis 500m Höhe. Südwärts zeigt der eigentliche
Suntiger-Grat, wie bereits erwähnt, mäßige, von Vegetation
überkleidete Abdachung, die Felsenzinnen im Nordosten des Haller Anger
zerrissenes, von einzelnen Wandgürteln durchsetztes Geschröfe,
der gipfeltragende Grat aber kaum minder steile Abstürze, als zum
Roßloch hinunter. Die Wasserscheide, d. h. die vom Joche am ,,Überschall"
nach dem Grate lieraufgezogene Linie, trifft diesen noch westlich seiner
Hauptgipfel, welche daher als Angehörige des Vomper Lochs zu betrachten
sind.
Ich gehe nunmehr zur Beschreibung der Bergwanderung über, welche
über die Gipfel im Roßloch - zunächst über jene der
nördlichen Umrandung - mich hinwegführte, und deren Fortsetzung
mit der Eröffnung eines neuen, bis dahin meines Wissens noch nicht
gekannten Weges nach diesem abgesperrten Talwinkel endete.
Es war im August 1870, als ich in der Scharnitz hauste, während
draußen in der großen Welt die Kriegsfurie über halbe
Länder dahinfuhr und unter ihren vernichtenden Schlägen die Völker
Europas erzitterten. Die Zeit war wenig einladend mehr zu Alpenwanderungen;
der Drang allein, mit der Aufgabe, die ich für diesen Sommer mir gestellt
und welche der Vollendung bereits so nahe gediehen war, zu einem Abschlusse
zu kommen, vermochte in den Bergen mich länger festzuhalten, und die
möglichst schleunige Ausführung der noch ausstehenden Gipfelexkursionen
bildete all mein Sinnen und Trachten.
Das Wetter gegenteils war für solche Absichten ein wahrhaft trostloses.
Tag für Tag Wolken, Regen, abends ein blasser Sonnenschein, der für
den folgenden Tag trügerische Hoffnungen vorgaukelte. Dabei fortwährend
der Wolken- [S. 794] zug längs der Karwendelspitzen vom Flachlande
herein nach dem Inn, - der hier sogenannte ,,bayerische Wind", dessen verzweifelte
Persistenz in der Regenfabrikation ich auch bei späteren Gelegenheiten
wieder erfuhr; ,,der bayerische Wind bringt uns nichts Gut's", sagten mit
bezeichnender Anspielung die Scharnitzer.
In den vier Tagen vom 30. Juli bis zum 2. August hatte ich die gesamte
Gleirschtaler Kette unter zum Teil ungünstigen Witterungsverhältnissen
ab-solviert; der 3. August wurde, als voraussichtlich letzter Schönwettertag,
zum Besuche der beiden äußersten Hinterautaler Gipfel, Pleißenspitze
und Larchetkarspitze, verwendet; dann Regen und Sturm bis zum 13.
Am Abende dieses Tages zeigten sich zuerst wieder günstigere Witterungsaspekten,
der Nordwind setzte aus, der Wolkenflug beruhigte sich. Ich rüstete
mich zur Bergfahrt, zum dritten Male nach dem Hinterautale, wo ich in der
vergangenen Woche bereits einmal drei Tage im Jägerhaus, vergeblich
auf hellen Himmel wartend, zugebracht hatte. Es war zu spät, um am
gleichen Abende noch aufzubrechen und Station im Hinterautale zu nehmen;
um so früher aber verließ ich am folgenden Morgen, der wirklich
heiteren blauen Himmel brachte, mein Standquartier.
Eine Ersteigung im inneren Hinterautale konnte für diesen Tag
nicht in Frage kommen, aber ich hatte auch in der Nähe von Scharnitz
noch zu schaffen. Die Große Riedlkar- und Breitgrieskarspitze warteten
noch des Besuches, dann hatte ich die ganze Westhälfte des Hinterautaler
Kammes kennen gelernt - denn vom Seekar-
bis zum Birkkarspitz hatte schon im Juli
eine Tageswanderung mich geführt
- dann kamen die Gipfel im Moserkar, die verwegene Kaltwasserkarspitze
voran, an die Reihe - dann blieben noch die Sonnenspitzen, die Zinnen im
Roßloch, die gefürchteten Felsenkegel des Kanzel- und Brandlspitz
- dann noch ein einziges hervorragendes Haupt in der Vomper Kette: der
Spritzkarspitz - dann war ich zu Ende! Aber wann, wann wird das sein? -
Werde ich noch zu Ende kommen in diesem wirren, wüsten Gebirge?
Immerhin hatte ich Grund genug, jeden Tag so gut wie möglich zu
nützen. Für heute also ging es aus dem Karwendeltale gegen die
Pleißenspitze
hinan, von ihrer breiten Südwestabdachung ablenkend ins Mitterkar
hinüber, und an der - mit bewährtem Spürsinne bald ausgemittelten
Übergangsstelle nach dem Großen Hinterkar hinab. Vormittags
gegen neun Uhr stand ich auf der Großen Riedlkarspitze, stieg von
dieser gegen Osten ab in die östliche Mulde des Großen Hinterkars,
gewann von da aus leicht den Zweigkamm der Breitgrieskarspitze,
und hatte gegen Mittag das Haupt dieses interessant gestalteten, scharf
abgehackten Gipfels erreicht. Wider Erwarten ersah ich eine ganz günstige
Gelegenheit, nach dem zwischen der Breitgrieskarspitze und dem benachbarten
Großen
Seekarspitz gelegene Breitgrieskar abzusteigen, suchte dann durch dessen
langgestreckte Talung aufs Geratewohl den Weg, und war auch in der Tat
so glücklich, nach kurzem ein ganz gutes Steiglein anzutreffen. Bei
sehr guter Tageszeit noch war ich auf der Sohle des Hinterautales angelangt,
und anstatt talauswärts nach Scharnitz zu marschieren, wandte ich
mich in entgegengesetzter Richtung nach dem Jägerhause [S. 794] "Am
Kasten". Mißvergnügt genug sah der wachthabende Jäger mich
dort ankommen; wußte er doch, - daß es nun den Besuch des Roßlochs,
- daß es die frevelhafte Ruhestörung im Allerheiligsten seines
Revieres gelte.
Ich hatte mich nach den Schwierigkeiten, die mir von Seiten des Jagdpersonals
bei meinem ersten beabsichtigten Eindringen in diesen verborgensten Winkel
des Karwendel- Gebirges entgegengetreten waren, alsbald an den mit der
Oberaufsicht über die fürstlich Hohenlohe'sche Jagd im Hinterautale
betrauten Herrn Oberförster in Scharnitz gewendet und von diesem auch
in zuvorkommendster Weise die Zusicherung erhalten, daß meinen Erforschungsprojekten
kein Hindernis im Wege stehen solle und er den Jägern dementsprechende
Anweisungen erteilen werde. Doch konnte ich, wie sich bei einer späteren
Gelegenheit herausstellte, von großem Glücke sagen, daß
die wirkliche Ausführung dieser Projekte auf einen Zeitpunkt traf,
wo dem Turnus zufolge gerade der mindest wilde der drei wilden Jäger
auf Wacht im Hinterautale war. Bei meiner Ankunft am 14. abends erwartete
sein Vorgänger eben seine Ablösung.
Ich vollführte am nächsten Tage die Ersteigung der Kaltwasserkarspitze
in finsterem Gewölke und rasendem Schneesturm, am 16. August bei kaum
besserem Wetter den leichten Besuch des Moserkarspitzes.
Früh am Nachmittage kehrte ich von diesem zurück, und nun
- da die Witterungsaspekten etwas günstiger sich zeigten - erklärte
ich dem inzwischen neu angekommenen Jäger rundweg, daß ich jetzt
ins Roßloch gehe; die bezüglichen Weisungen werde er von seinem
Vorgesetzten bereits erhalten haben - wenn er übrigens hinsichtlich
der Einrichtung meiner Wanderung besondere Wünsche hege, so wolle
ich solche gern berücksichtigen. Mit etwas süßsauerem Gesichte
sagte er mir dann, wenn es denn sein müsse, so solle ich wenigstens
zu allererst geradeswegs nach der ,,Stang"' (dem Grubenkarspitze)
gehen und von dort aus gegen ,,das Sonnenjoch" [die Sonnenspitzen] herüber;
so würden dann doch nur die Gemsen, die ich auf meinem ersten Wege
aufsprengen würde, aus dem Revier hinausgejagt, in umgekehrter Richtung
aber alles. Aber ,,erlauben hätt' er's nit sollen, der Herr Oberförster,
es rennt doch alles davon".
So machte ich mich denn gegen Abend auf, um noch das kleine Birschhäuschen
am Ende des Tales, unmittelbar am Fuße der zirkusförmig zu dem
Hügelplateau in der Hochregion des Roßlochs aufstrebenden Wände
zu erreichen. In fast feierlicher Stimmung wanderte ich den schmalen, mitunter
kaum kenntlichen Pfad dahin, der in diese verschlossene, von niemandem
fast betretene und gekannte Felsenwelt mich führen sollte.
Über die Wiesenfläche der Kasten-Alpe, dann durch hohes Krummkieferngebüsche
führte mich der Pfad am rechten Ufer des Roßkarbaches entlang;
am Eingange des eigentlichen Tales rücken ,die dasselbe beiderseits
einschränkenden Felsenwälle - der Ausläufer der Sonnenspitzen
von links, der Suntiger von rechts - hart aneinander, der schmale Zwischenraum
bildet einen hügelig unebenen Boden, mächtige Schuttmassen, welche
von beiden Seiten sich herabgießen, versperren die Talsohle, und
von einem [S. 796] Bache in derselben ist nichts mehr zu hören, noch
zu sehen; er sucht sich seinen Weg tief unter dem überdeckenden, rauhen
Getrümmer, in welchem auch die von den benachbarten Wänden herunterstürzenden
Wasserstrahlen spürlos verschwinden.
Etwa dreiviertel Stunden vom Jägerhause am Kasten entfernt, endet
diese Talenge und öffnet sich auf einen breiten, ebenen Wiesenplan;
der vom Südlichen Sonnenspitz herabsinkende Grat fängt an zurückzutreten,
den Ausblick nach der Höhe, in die Kare am Ostfuße des ,,Sonnenjochs"
zu eröffnend. Mitten durch die an vielen Stellen von Geröll überdeckte
Grasfläche rauscht auch wieder lebendig der Bach in tiefem, durch
den Schuttboden gerissenem Bette. Ein mäßig steiles, mit Krummholz
überhangenes Geschröfe steigt im Hintergrunde dieses Talbeckens
empor, von tiefer Klamm durchspalten, in welcher hier und dort die weißschäumenden
Sätze des herabstürzenden Wildwassers erglänzen. Auf diesem
spärlichen Weideboden befand sich früher eine Alphütte,
,,Im Hinterkar" genannt, daher auch der in die Karten übergegangene
Name ,,Hinterkar" für das Roßloch selbst. Jetzt wird dort kein
Vieh mehr aufgetrieben, da Fürst Hohenlohe um der Ruhe seines Jagdrevieres
willen die Alpe käuflich an sich gebracht hat.
Ein gut kennbarer Steig führt, die Klamm zur Linken lassend, in
kurzen Zickzacklinien durch das Krummholz empor. Während des Aufsteigens
erweitert sich die Aussicht rasch über das Hinterautal und seine Gebirge
und - durch den weiten Aufschluß des vier Stunden langen, geradlinigen
Tales - auf die fernen Berge der Scharnitz, die Arnspitzen und die Dreitorspitz-Gruppe
im Wetterstein-Gebirge.
Nach einer halben Stunde Steigens hatte ich die zweite Terrasse erreicht,
einen von den ringsum sich aufbauenden, teils kahlen, teils bebuschten
Bergflanken zirkusförmig geschlossenen Platz, und auf ihm auch mein
Ziel: Hart an das Gehänge angelehnt erschien zur Rechten das Birschhäuschen,
ein ganz niedriges, mit einer Türe und zwei Glasfenstern versehenes
Holzgebäude. Die äußere Tür war mit einem hölzernen
Riegel verschlossen, welcher - um gedreht werden zu können - erst
ein wenig zurückgeschoben werden mußte. Ich trat in den Vorplatz
ein, wo die Feuerstelle sich befand. Die Türe zum eigentlichen Zimmer
zeigte sich mit einem eisernen Klinkenschloß versehen, welches jedoch
in total demontiertem Zustande sich befand und schlechterdings nicht zu
eröffnen war. Ich sprengte es schließlich mit dem Bergstock
und schickte später den am Jägerhause ,,Am Kasten" beschäftigten
Schreiner hinauf, um gegen gute Bezahlung den Schaden wieder auszubessern,
- was indes nicht hinderte, daß die Anklage: ,,Die Tür hat er
auch z'samm' g'haut!" mit auf das große Register der Untaten kam,
welche die Hinterautaler Jäger von mir aufzuzählen wußten.
Im Inneren des kleinen Zimmers fanden sich ein Tisch und ein paar Stühle,
sowie zwei Bettstellen, welche indes - in Ermangelung anderweitigen Materiales
- vorerst nur mit den von der Zimmermannsarbeit übergebliebenen Hobelspänen
gefüllt waren und kein sonderlich gutes Nachtlager versprachen. Zunächst
ging [S. 797] es nun an die Revision der Eßvorräte, welche freilich,
an der Kasten-Alpe erst beschafft, dürftig genug bestellt waren: außer
dem steten Begleiter, dem Kaffee, war für diesen Abend und die beiden
nächsten Tage nichts verfügbar, als ein halber Rundlaib Schwarzbrot,
ein etwa einhalb Pfund schweres Stück Ziegenkäse und eine halbe
Flasche Ziegenmilch; denn es gab zu jener Zeit auf der Kasten-Alpe nur
diese letztere; das Rindvieh befand sich oben auf einer Hochalpe im Lafatschtal
oder auf der Terrasse, welche unter den nördlichen Steilwänden
der Gleirschtaler Kette sich hinstreckt. Nachdem der schmale Abendimbiß
eingenommen, streckte ich mich aufs Hobelspänelager und verbrachte
eine lange, infolge des sehr fühlbaren Frostes ziemlich schlaflose
Nacht.
Ich war denn auch sehr gern bereit, den ersten Anzeichen des herannahenden
Tages Folge zu leisten und das wenig verführerische Nachtquartier
zu verlassen. Ein ungewisses Zwielicht, welches an den Felswänden
spielte, verriet neben der Stunde, welche die Uhr wies, allein den Anbruch
des Morgens; der östliche Horizont war mir durch den gewaltigen Felsenwall,
dessen, Gipfelzinnen ich zu ersteigen gedachte, verdeckt, im Zenith aber
und hinaus gegen den freien Westen wölbte das Firmament sich noch
schwarz und besät mit funkelnden Sternen, deren lebhaftes Glitzern
wieder wenig Gutes für den heraufziehenden Tag verkündete.
Ziemlich unsicher tappte ich im Dunkeln meinen Weg entlang, wurde erst
von einem breiten, hübschen Pfade in die Irre geführt, der anfangs
der Höhe zuzuführen schien, aber immer weiter nach recht sich
abkrümmte und - augenscheinlich einzig und allein für Jagdzwecke
angelegt - wohl in die kleinen Kare am Nordfuße der Wände des
Gamskarspitzes hinaufführte; ich hielt mich dann weiter gegen links,
schlug mich ein wen'g durch Krummholz, welches indes glücklicher Weise
hier oben nicht sonderlich mächtig mehr ist, und hatte ziemlich holprigen
Weg bis in den Hintergrund des vom Berggehänge gebildeten Zirkus,
wo ich über begraste Felsstufen rasch zur Höhe emporstieg. Ich
befand mich hier auf der richtigen Weglinie, welche vom Birschhause weg
längs des Bächleins taleinwärts läuft und am Fuße
des steilen Gehänges alsbald als ausgeprägter Pfad erscheint.
Dem Birschhause gegenüber läuft an den südlichen Bergflanken
ein schöner, in langen Serpentinen, angelegter Jagdsteig zur Höhe
des Bockkars empor, welchen ich mir als geeignete Rückzugslinie merkte.
Es war nun völlig hell geworden. Wie vorauszusehen gewesen, erschien
der vor kurzem noch so klare Sternenhimmel im Tageslichte nicht blau, sondern
übersponnen mit einem feinen Grau, welches von Minute zu Minute sich
dichter zusammenzog Die Bergspitzen, welche mit allmählicher Erhebung
auf die Höhe der ausgedehnten Terrasse des Roßkars wieder sichtbar
hervortraten, hielten sich jetzt noch frei, aber immer trüber wurde
es um ihre Scheitel, immer düsterer in ihren Scharten, hier und. da
erschien bereits ein feuchter Dunstgürtel an ihren Flanken, und draußen
im Hinterautal qualmten schon wieder dicht und schwarz die Nebel. In kurzen
Stößen fegte ein frostiger Wind über die Felsenhügel.
Es war ein Tag, genau wie der vorgestrige auf der Kaltwasserkarspitze und
ich konnte wieder lediglich auf einzelne lichte Momente zur Beobachtung
hoffen.
[Das
Bild zeigt die Roßlochspitze rechts und die Grubenkarspitze in der
Mitte aus der Roßkar.] [S. 798] Eine starke Stunde nach Verlassen
des Birschhauses hatte ich die Höhe des Kars völlig gewonnen.
Vor mir lag die öde, kahle Felsenterrasse, welche vom Gamskarspitz
unter dem Roßloch- und Grubenkarspitz
hin bis unter die östlichen Steilwände der Sonnenspitzen in ungeheurem
Halbbogen sich herumzieht und durch niedrige Hügeldämme nur sehr
unbestimmt in einzelne Kare abgeteilt wird; ein steinernes Meer mit seinen
zahllosen Wellenbergen und Wellentälern, mit seinen kuppigen Höhenrücken,
abgerundeten Terrassenstufen, mit seinen, geschlossenen Becken, Kesseln
und Trichtern und seinen tiefen, schwarzen, zahnrandigen Spalten und Klüften,
welche das abrinnende Regen- und Schneewasser in den starren Fels genagt
hat. Die einzige hervortretende Schranke in diesem ausgedehnten Terrassengürtel
bildet, wie bereits früher erwähnt, der vom Roßlochspitz
gegen Westen ausstrahlende Grat; von diesem ab bis zum Nördlichen
Sonnenspitz, ist der Zusammenhang des Plateaus ein fast ununterbrochener,
während auf der anderen Seite ein tiefer und weiter Kessel in die
Nordwände der Hochkanzel und des Brandlspitzes sich einbuchtet.
Der heutige Tag war zum Besuche der Zinnen in der nördlichen Umrandung
des Roßlochs, einschließlich des Grubenkarspitzes,
bestimmt; morgen sollten dann der Roßlochspitz und die beiden gewaltigen
Häupter in der südlichen Umwallung an die Reihe kommen, - vorausgesetzt,
daß mir die heute anzustellenden Beobachtungen die Möglichkeit
ihrer Ersteigung vom Roßloch aus würden wahrnehmen lassen; denn
vom Vomper Loch heraufzudringen, dazu bestand mir keine Hoffnung. War es
vom Roßloch aus nicht möglich, dann blieb nur noch ein Mittel,
ein nahezu verzweifeltes: vom Suntiger her den Grat zu überklettern,
welcher bis zu diesen mächtigen Eckpfeilern des Vomper Lochs sich
hinauszieht. Die Hirten am Haller Anger hatten mir die Möglichkeit
der Gratübersteigung angegeben, doch war dieser Rat kaum mehr wert,
als das bloße eigene Urteil, daß, wenn es auf, anderem Wege
nicht gehe, dieser versucht werden müsse; denn selbst versucht hat
ihn, so wie ich die Leute im Karwendel kenne, gewiß keiner von ihnen.
Ich hatte auch bereits die Frage angeregt, ob denn nicht vom Roßloch
aus diesen Gipfeln beizukommen wäre; hatte aber darauf entschieden
verneinende Antwort erhalten, bekräftigt durch die mythische Erzählung,
daß ein einziges Mal, vor langer Zeit, ein Jäger vom innersten
Roßloch aus bis auf den Grat gestiegen sei, der habe aber Rucksack
und Büchse wegwerfen müssen, um sich zu retten.
Den Wert solcher Angaben und Erzählungen hatte ich bereits zur
Genüge würdigen gelernt; es kam darauf an, was das eigene Auge
mir sagen würde. Und so schritt ich über die Hügeldämme,
durch die plattigen Tälchen und Gruben des Roßkars fürbaß,
gerade auf das Ende des Ausläufers des Roßlochspitzes zu, wo
ich dann links, meinem ersten Gipfelpunkte entgegen, abzulenken hatte.
Sehr gespannt war ich auf die Mengen von Bergwild, welche der Eintritt
in dieses so ängstlich verwahrte Revier mir vorführen sollte,
wie nicht minder darauf, ob nun wirklich ihre Scheu eine so große,
ihre Flucht eine so weite sein würde, wie man mir versichert hatte.
Hatte ich auf meinen dreijährigen Berg- [S. 799] wanderungen ja doch
Tausende und Abertausende der zierlichen Hochgebirgsbewohner vor mir auf
den Felsen dahinjagen sehen, und kaum jemals hatte ihre Flucht länger
gewährt, als bis sie aus meiner Wegerichtung waren und sahen, daß
sie nicht weiter von mir verfolgt wurden; was mochte nun gerade hier sie
so weit, in ganz andere Täler und Berge hinübertreiben?
Es dauerte ziemlich lange, bis ich einige der flüchtigen Alpengazellen
von den Felsenhügeln aufspringen sah. In der ungeheuren Öde,
die mich umgab, konnte nicht der geringste sich bewegende Gegenstand von
mir unbemerkt bleiben, jedes klappernde Steinchen mußte meine Aufmerksamkeit
erregen. Es blieb aber ziemlich still und einsam. Noch ein paar weitere
Gemsen wurden aufgestört und vereinigten sich mit den ersten; der
ganze Rudel belief sich schließlich auf sieben Stück. Sie steuerten
entschieden auf den Grubenkarspitz
los, und insofern also bewahrheitete sich die Aussage des Jägers;
Eile aber schienen sie nicht im geringsten zu haben, sprangen stets auf
400 bis 500 Schritte vor mir her und sicherten alle Augenblick. So kamen
wir fast gemeinsam am Fuße des Roßlochspitz-Ausläufers
an; die Gemsen zogen in das Kar hinauf, welches von diesem Zweigkamme und
der vortretenden Masse des Grubenkarspitzes
gebildet wird, und schienen Lust zu haben, bei weiterer Verfolgung entweder
durch die Scharte auf dem Hochrande dieses Kars oder über den Grubenkarspitz
selbst ins Vomper Loch hinüberzuwechseln. Nun aber wandte sich mein
Weg entschieden links, durchschnitt den mit zerklüfteten Platten bedeckten
Boden des Kars in schräger Richtung und begann die steilen Sandreißen
emporzuklimmen, welche den mit bastionartiger Rundung vortretenden kurzen
Ausläufer des Grubenkarspitz
umlagern. Sobald die Gemsen sich von dem ungewohnten Eindringling nicht
weiter verfolgt sahen, hielten sie an, und nicht lange dauerte es, so sah
ich den ganzen Trupp gemächlich, wie er gekommen war, aus dem Hochkar
wieder nach den dürftigen Grasplätzchen der tiefer gelegenen
Terrassen zurückwechseln. Das also war der Wildreichtum, war die berufene
Scheu und Flüchtigkeit des Gemswildes im Roßloch! - Viel Lärm
um nichts! - Wer nur Gemsen sehen wollte, Hunderte an einem Tage und auf
Stundenweiten über die Grate und Karrenfelder dahingaloppierend, wie
man in manch schönem Revier unserer Nördlichen Kalkalpen es sehen
kann, der brauchte die Hinterautaler Jäger wahrlich nicht zu behelligen281!
Ich war zwei Stunden im Marsch, als ich die Höhe der obersten
Kare und den Fuß meines ersten Gipfels erreichte. Schwierigkeiten
hatte ich von diesem, dem Kulminationspunkte des Roßlochkammes, nicht
zu gewärtigen. Der Anstieg ging von den Sandreißen nach dem
Scheitel des Rundkopfes, welcher ins Roßkar hinein sich vorschiebt,
über abschüssigen Plattenboden, dann in einer Mulde, welche gegen
oben zu engem Kamine sich zusammenschnürt, ohne bedeutende Hindernisse,
wenngleich nicht ganz mühelos vonstatten. Von dem breiten Geröllscheitel
wandte ich mich rechts ab und betrat nach kurzem den Hauptgrat, von welchem
der Blick über steiles Gewände in die weite, hügelige Mulde
des Grubenkars hinunterfiel; dies weite Aussichtsbild über die Gipfel
der Vomper Kette und des Bettelwurf-Stockes, getrennt durch den finsteren
Spalt des Vomper [S. 799] Lochs, ins Inntal hinaus und auf die Achensee-Gebirge,
welches auf dieser Kammhöhe sich eröffnen mußte, lag bereits
größtenteils im Nebel, und dicht und düster qualmte es
aus allen Tiefen nach meinem Grate herauf. Wenige Minuten noch - und alles
war in Wolkengrau versunken.
Der Grat, welchen ich verfolgte, war anfangs ziemlich breit und fast
eben, begann dann wieder zu steigen und zusehends sich zu verschärfen,
ohne indes irgendwelche bedeutende Schwierigkeiten zu bieten. Erst nach
Erreichung des - durch den Wolkenschleier hindurch eben noch sichtbaren
- Punktes, welcher bisher als kulminierender mir vor Augen gestanden war,
erblickte ich, bereits ziemlich nahe vor mir, den eigentlichen Gipfel,
welcher eine große Signalstange trägt und deshalb bei den Hinterautaler
Jägern und Hirten unter dem Namen ,,Die Stang" bekannt ist. Es ist
dies auf dem Hauptgrate der Hinterautal-Vompertaler Kette das einzige Vermessungssignal
auf der weiten Strecke vom Birkkarspitz
bis zum Rotwandlspitz in der Nähe des Hochnissel. Nach Überwindung
der letzten, aus zerborstenen Zacken zusammengefügten, ziemlich schmalen
Gratstrecke betrat ich - drei Stunden nach Aufbruch vom Birschhause - den
mehrere Schritte breiten, mit großen Felsblöcken überworfenen
Scheitel des Grubenkarspitz.[Das
Bild zeigt den Blick nach Süden, auf den Großen
und Kleinen Bettelwurf, vor dem Kleinen Bettelwurf die Roßlochspitze
und die Hochkanzel, links das Grubenkar.]
Ich nahm den Knotenpunkt der verschlungenen Gebirgskämme, die
vielleicht kein kundiges Auge vorher noch geschaut, kein Fuß eines
Forschers noch betreten hatte, - ich nahm das Herz der Karwendel- Gruppe
ein. Von meinem Gipfel verlaufen die Grate nach Westen und Osten, hier
das bedeutendste Quelltal der Isar begleitend, dort das wildeste der Zweigtäler
des Innlaufes durch die Nördlichen Kalkalpen. Nach Süden hinab
streckt sich ein dritter Grat, der mir gegenüber zum Roßlochspitz
sich erhebt, dann umbiegend die gewaltigen Häupter des Suntiger-Kammes
trägt und das Kettenglied nach dem dritten Parallelkamme des Karwendel-Gebirges
bildet, dessen gewaltigste Felsenmassen, die Bettelwurfspitzen,
Speckkarspitz und Lafatscher, mir dort entgegentreten. [Das
Bild zeigt die Nordabstürze der Laliderer Wand und dahinter den zum
Hohljoch vorgeschobenen Grubenkarpfeiler (abends aufgenommen).] Nordwärts
aber stürzt die Steilwand - Steilwand, wie sie nirgends riesiger,
erdrückender, schauernd großartiger dem Bergwanderer gegenübertritt
- stürzt die absatzlose, nur von senkrechten Klüften und Schachten
durchspaltene Steilwand über 1000 Meter tief zutal. Sie ist's, die
im versperrten Talkessel von Laliders demjenigen, der von der Riß
herein dem innersten Heiligtume des Felsengebirges naht, so unfaßbar
groß, so gebieterisch abweisend sich entgegenstellt, sie ist es,
die seinen Weg über die ungeheuren Trümmerwälle an ihrem
Fuße - über das grüne Hohljoch nach der Eng-Alpe hinüber
- mit schwarz und feuergelb gestriemter Mauer begleitet und drohend überragt
und unter der steten Gefahr ihrer zermalmenden Geschosse hält. Droben
auf den Wiesenmatten des Hohljochs, dessen Kamm sich nordwärts wieder
zu Gipfelhöhen emporschwingt, zum Gumpenkarspitz und zu den aussichtreichen
Kuppen des Gamsjoch, - dort auf der Scheide zwischen den beiden innersten
Quellentälern der Riß, da mag man die Hand anlegen an den Mauerpfeiler,
der zum Grubenkarspitz
sich emporschwingt; dort steigt vom Grasgelände weg der blanke Fels,
die stufenlose Wand auf, turmhoch, bergeshocch, wolkenhoch, - und nicht
vermeint das [S. 801] Auge die Grenze dieser Höhen je erreichen zu
können. In stummer, scheuer Bewunderung haftet der Blick an diesem
Bau, mit beklommenem Staunen schweift er wieder und wieder empor zu den
Zinnen, die in unermeßlicher Ferne seine Scheitel krönen. Bescheidenlich
weicht der Tritt zur Seite und folgt - unsicher schwankend fast unter dem
Eindrucke des Erschauten - den Pfaden, die hinab, talaus ihn leiten; die
Schranke ist für Menschenwerk zu groß!282
Und nun stehe ich oben! . . . . Wenn der Leser das Bild, welches sich
dort auf dem herrschenden Gipfel der Roßloch-Kette entrollt, nur
im Geiste sich ausmalen kann, so mag er sich mit mir trösten; auch
ich war darauf angewiesen, nach früher Gesehenem das Bild, welches
mein Standpunkt mir bieten könnte, im Geiste mir zu gestalten; dem
leiblichen Auge blieb es verschlossen, Düster grau lagerte das Gewölk
und bleischwer auf den Felsenhöhen; selten nur, daß einmal die
nächstfolgende Gratstrecke über den Scheitel des Grubenkarspitzes
hin, oder die düstere Pyramide des tief unter mir liegenden Roßlochspitzes
aus dem Qualm herausbrach oder ein Stück hügeliger Steinwüste
- das Roßkar hier, das Grubenkar dort - auf einen Augenblick erschien
und wieder entschwand Ich kannte diesen Witterungscharakter aus den Erfahrungen
der vergangenen Tage zur Genüge und wußte, daß ich vor
einigen Stunden kaum Besserung zu erwarten hatte; erst die Vormittagsstunden
konnten durch die Wärme der steigenden Sonne Bewegung in das Wolkenmeer
bringen und im Wechsel mit Regen- und Schneeschauern einzelne Aussichtsmomente
bieten. Auf dem ersterstiegenen Gipfel dieses abzuwarten - auch wenn ich
Lust gehabt hätte, wie auf der Kaltwasserkarspitze mehrere Stunden
lang im Unwetter stille zu liegen - erlaubte diesmal die Zeit nicht; vier
Gipfel im Nordrande des Roßlochs warteten heute noch auf meinen Besuch.
und ich konnte nicht wissen, ob dieser bei ihnen allen so glatt und rasch
von statten gehen würde, wie der des Grubenkarspitz.
Und so schied ich denn, nachdem Kaffee gekocht und getrunken worden war,
bedauernd von diesem Herrscherhaupte des Roßlochs, welches meine
Erwartungen hinsichtlich eines umfassenden Überblickes meines gesamten
heurigen Bergrevieres so schnöde betrogen hatte.
Mein nächstes Ziel war der abenteuerlich geformte, mit drei scharf
gespitzten Felsenzinken gekrönte Gipfel, dessen dunkle Silhouette
so auffällig im Grate sich abzeichnet, wenn man von der Laliders-Alpe
zu dessen schwindelnder Höhe emporblickt; er, und der krumme Kegel
des Bockkarspitz (des nächsten Nachbarn des Nördlichen Sonnenspitzes)
- das waren die beiden Fragezeichen des heutigen Tages.
Den geradesten Weg dorthin bot mir der Grat des Grubenkarspitzes
selbst, welcher, soweit ich durch die Nebelhülle hindurch es beurteilen
konnte, keine sonderlich bedeutenden Hindernisse entgegenstellte. Zwar
nötigten überhängende Wandstufen auf dem Grate - durch die
vorspringenden Köpfe der hier (wie auch sonst fast überall im
Karwendel) südwärts einfallenden Schichten gebildet - gleich
anfangs zu Umgehungen nach der Westseite, welche indes leicht ausführbar
waren und nicht allzuweit von der Schneide ableiteten. Bald zeigte sich
auch diese selbst wieder gangbar, mit flachliegenden Platten bedeckt und
fast [S. 802] horizontal verlaufend. In abgerissenen Zacken hebt sie sich
allmählich wieder empor zum zweiten Gipfel, welchen man als den Nordwestlichen
oder Kleinen Grubenkarspitz
bezeichnen könnte. Die breiten Schuttfelder des Roßkars ragen
gegen den beide Gipfel verbindenden Grat sehr weit herauf und ein direkter
Abstieg von demselben ins Roßkar - der geradeste Weg, wenn man etwa
vom Grubenkar über den Grubenkarspitz
herüber käme283 -würde auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen.
Ich hielt mich auf dem Kleinen Grubenkarspitz
nicht auf, da die Aussichtsverhältnisse sich um nichts gebessert hatten,
und verfolgte meinen Weg auf der Schneide weiter. Die riesigen Steilwände
von Laliders drängten nun hart an die Klippen und kleinen Felszähnchen
des Gratscheitels heran. Schwarz stürzte es dort hinunter in die Tiefe;
sehen konnte ich nichts, aber durchs Wolkendunkel herauf klang das eintönige
Glockengeschelle von der Alpe, hart vor meinen Füßen, nur durch
einen unermeßlichen Höhenabstand von mir getrennt. Linker Hand
dagegen begannen in einiger Entfernung vom Kleinen Grubenkarspitz
die streifigen Felsgehänge allmählich völlig in loses Schuttfeld
überzugehen, während gleichzeitig der Gratscheitel selbst gegen
die Scharte, welche den Grubenkarspitz
von seinem Nachbargipfel trennt, stärker zu fallen anfing. Ein kurzer
Bogen nach der nächstgelegenen Terrasse hinab, dann über eine
unbedeutende Felsstufe in die Geröllsinke, welche in der Scharte auf
dem Grate ausläuft, brachte mich in unmittelbare Berührung mit
dem nächsten Ziele meiner Wünsche.
[Dreizinkenspitze
vom Roßkar] Dicht in Nebel gehüllt stand es vor mir; der
breite Schuttabhang, auf dessen Höhe ich die dreizinkige Krone wußte,
hob sich verwaschen ins ungewisse Grau hinein; eine momentane Lücke
im Wolkenqualm zeigte mir hoch oben die durchspaltenen Felsenzacken, einer
zerfallenen, rauchgeschwärzten Burgruine vergleichbar. Ich stieg das
ziemlich steile Schuttfeld in schräger Linie gegen links an, um so
in die Nähe der Westkante zu gelangen, aus welcher, wie mir bekannt
war, der höchste der drei Zacken sich aufschwingt. Das Auftreten von
festen Felsmassen im Schuttfelde kündigte ihre Nachbarschaft mir an;
es waren massige, glattgewölbte, schwärzliche Plattschichten,
welche sofort die Tätigkeit der Steigeisen in Anspruch nahmen und
nur in kleinen Querrissen und unbedeutenden, unzuverlässigen Vorsprüngen
ihnen Angriffspunkte boten. Ich drängte soviel als möglich nach
der linken Seite hinaus, um an die stufenförmig gebrochene Außenkante
zu gelangen. Auf die untersten Plattentafeln folgte etwas rauheres Geschröfe,
welches in aufgerissenen Spalten ein mühsames Aufklettern ermöglichte,
und über eine Lage großer, auf ihrer schlüpfrigen Unterlage
oft unter dem Tritte weichender Felsblöcke erreichte ich den Rand,
- und wieder stürzt senkrecht die schwarze Wand hart neben der Sohle
hinunter in unergründliche Tiefen, und die Steine, welche der Fuß
dort hinausstößt, verschwinden lautlos im lufterfüllten
Raume. Den schwindelnd steilen Hinabblick abgerechnet, bot indessen von
dort ab die Ersteigung des Gipfels wenig Schwierigkeiten mehr; auf verwittertem
Getrümmer, welches teils noch aufrecht stehende Schrofen bildet, teils
in völlig morschen Schutt zerfallen ist, gewann ich in wenig Minuten
den westlichen und höchsten Zacken der Gipfelkrone, einen 60 bis 80
Fuß breiten, [S. 803] aber mehrere Schritte langen Grat. Die Ersteigung,
welche wahrscheinlich die erste dieses seltsamen Felsgebildes gewesen ist,
hatte vom Grubenkarspitz
herüber eineinviertel, von seinem Fuße aus nur eine halbe Stunde
gewährt. Seiner Gestalt entsprechend gebe ich ihm den Namen Dreizinkenspitz.
Seine Höhe schätze ich nach den Beobachtungen über die relativen
Höhenverhältnisse der Gipfel im Roßloch auf etwa 2600 m.284
[Das
Bild zeigt das Sonnjoch (links der Bildmitte
direkt über dem Gasthof in der Eng mit dem großen Parkplatz)
und rechts die mächtige Spritzkarspitze, eines der Schaustücke
über dem Enger Talschluß.] Schon während des Anstieges
hatten sich feuchte Tropfen auf dem Gestein bemerkbar gemacht, jetzt begann
es stärker zu regnen und dazwischen zu rieseln und zu schneien; der
während der ersten Frühstunden fast ganz erstorbene Wind begann
sich wieder zu regen, und in wildem Chaos wälzten die Wolkenmassen
sich durcheinander. Das weite Hügelplateau des Roßkars war bald
rein gefegt, während draußen, an den Laliderer Wänden und
im Grubenkar drüben, das Nebelmeer lagerte und durch die finsteren
Schachte herauf dampfte und qualmte. Und auch dort wurde es allmählich
gebrochen und gelöst, immer weitere Risse teilten seine Massen und
enthüllten dem Auge immer gewaltigere Tiefen, - aber noch immer keinen
Grund, noch versinkt der Fuß des Gemäuers in die Wolken, aus
welchen nach wie vor das Herdengeläute heraufklingt. Ein frisch über
die Hinterautaler Berge herüberfegender Weststurm zerreißt endlich
den letzten Nebelvorhang; da liegen die grünen, sonnenhellen Wiesenmatten
zu meinen Füßen, Hütten, Hirten und Herden wie Spielzeug
darauf zerstreut, die buschigen Höhen des Ladizer Jöchls und
Hohljochs daneben, an welchen die weißen Fäden der Birschpfade
sich hinaufschlingen - eine niedliche Krippchenlandschaft - so fremd, so
fern! [Bild:
Das Gamsjoch, vom Laliderer Biwak gesehen, erscheint
als elegante Pyramide - davor Gumpenspitze (2170 m) und Teufelskopf (1980
m).] Drüben die Kolosse des Gamsjochs, der Falken, und weiter
hinaus die Berge der Riß, des Isartales, mildere Formen einer lebensvolleren
Welt; ein duftiges Blau schimmert durch ihre Tore herein, freundlich lachen
die Täler, von den silbernen Wasseradern durchschlungen, welche hier,
wo ich stehe, aus Fels und Schnee geboren werden; sie ziehen dorthin, von
wo ich kam, die Geheimnisse ihrer Wiege zu ergründen, und jetzt fuße
ich auf diesen Felsenscheiteln285 und zwischen mir und dem Leben da draußen
liegen die Wände von Laliders.
Rückwärts den Blick, nach Süden! Trümmerwüste,
von zerspaltenen, ausgezackten Mauern umrandet, zerfetztes Gewölke
über Plattenhügel und Schnee dahintreibend, Abgrund ringsum und
Grabesstille, die nur das Brausen des Sturmes stört. Dort bin ich
besser zu Hause! - Und ein Felsen mir gegenüber, dessen Häupter
wohl niemand noch zu berühren wagte, und der für morgen auf mich
wartet! Die Wächter des Vomper Lochs, Brandlspitz und Hochkanzel,
- sollten sie überall mit Mauern umschanzt, sollte auch diese letzte
Seite, von der ich sie zu sehen bekomme, unangreifbar sein? - Und mir will
scheinen, ich habe die Lösung des Rätsels schon wieder in Händen:
Die Kluft, die aus dem innersten Winkel des Roßlochs hinaufschneidet
und zu beiden Seiten eines kleinen Turmes auf dem Gratsattel ausmündet
. . . Nun wohl, auf morgen! -
Da fegt wieder ein Schneesturm von den Sonnenspitzen herüber und
staubt über die Hügel des Roßkars, und düster grau
dampft es von allen Seiten empor und ich bin wieder völlig abgeschlossen
auf meiner Klippe. Eben recht zur [S. 804] Wanderung - bis zur Erreichung
des nächsten Aussichtspunktes kann es sich wieder etwas klären.
Ich machte mir noch den Scherz, auf den Nachbarzacken meines Gipfels, der
etwa um Mannshöhe niedriger ist, einige Steine, hinüberzuschleudern,
welche - von dem kaum einen Quadratmeter im Umfange haltenden Kopf abprallend
- in sausendem Bogen zur unergründlichen Tiefe hinunterflogen. Einer
aber blieb wirklich drüben liegen und liegt vielleicht noch heute
dort. Der Zacken selbst ist eine völlig isolierte Felsennadel und
augenscheinlich unersteigbar; könnte man auch hinaufklettern, so wäre
sehr zu besorgen, daß sie unter dem Gewichte ihres Ersteigers selbst
abbrechen möchte.
[Das
Bild zeigt den Blick von der Laliderer Spitze
nach Osten auf den Gipfel der Laliderer
Wand, davor die Biwakschachtel, weiter hinten Grubenkarspitze
und Roßlochspitze.] Von dichtem Gewölk umfangen, begann
ich den Abstieg vom Dreizinkenspitz.
Sobald der schroffe Fels seiner Gipfelkrone hinter mir lag, und ich das
Schuttgehänge wieder betrat, wich ich aus der Anstiegsrichtung gegen
Westen ab, kam nahe an einer zweiten Gratscharte vorüber, von welcher
schauerlich tief und schwarz eine mächtige Kluft durch die Wände
hinunterschneidet, und begann den Anstieg an den Nachbargipfel, einen langgestreckten,
höckerigen Felsenrücken. Über seine Ersteigung und die seines
Nachfolgers, einer hübschen, vorwärts geneigten Pyramide, kann
ich kurz hinweggehen, da sowohl die allgemeinen Gestaltungsverhältnisse
dieser Gipfel, wie auch der Weg, den ich auf dieselben einschlug, aus dem
Gebirgsprofile ohne weiteres ersichtlich sind. Die Ersteigung des ersten
derselben bot keinerlei Schwierigkeiten; über Schutt und Getrümmer
gelangte ich unter die Mauern der Gipfelschrofen, eine eingerissene Runse
bot mir bald Gelegenheit, nach dem Grate emporzusteigen und über,
dessen massige, zerspaltene und gegen einander gestemmte Felsblöcke
hinweg den höchsten Punkt zu erreichen. Dieser besteht aus einem gewaltigen
Steinwürfel, der indes nicht allzu fest mehr auf seiner Unterlage
zu ruhen schien. Im Abstiege nahm ich den geraden Weg über die Schuttflanke,
und zwar ziemlich tief untenhin, da ich links von mir eine langgestreckte
Steilwandstufe wußte, welche ich völlig umgehen zu müssen
vermeinte; nachträglich zeigte es sich, daß dieselbe an mehreren
Stellen von gut gangbaren Schuttgassen durchbrochen ist und mit Benutzung
einer solchen der Fuß des nächstwestlichen Gipfels mit weit
geringerem Höhenverluste zu erreichen gewesen wäre. Die Ersteigung
dieses letzteren ging von der Scharte an seiner Ostseite völlig leicht
und abwechslungslos vonstatten; auf breitem Schutthange, zuletzt längs
der östlichen Kante, wurde der geräumige Gipfelscheitel - eine
mehrere Schritte breite Trümmermulde - erreicht. Der Absturz nach
dem Tale von Laliders beginnt von ihm aus nicht in so unmittelbarer Nähe,
wie von seinen Nachbarn, obwohl auch hier noch der grüne Talgrund
mit seinen Alpenhütten nahe genug zu Füßen liegt.
[Im
Bild die Laliderer Spitze mit der Biwakschachtel,
links im Hintergrund die Sonnenspitze mit Abendlicht.] Die Höhe
der beiden eben besprochenen Gipfel könnte mit Rücksicht auf
ihr gegenseitiges Rangverhältnis und auf jenes zum Dreizinken-
und zum Grubenkarspitz
auf 2615 und 2580 Meter286 veranschlagt werden; der zweite derselben, die
pyramidale Spitze, ist entschieden niedriger und der niedrigste in der
nördlichen Umrandungskette des Roßlochs überhaupt. Mit
dem Dreizinkenspitz
zusammen bilden diese Gipfel die eigentliche Mitte und Krone der Wände
von Laliders, und davon leitete ich auch die Namen ab, welche ich, in Ermangelung
[S. 805] bereits vorhandener, denselben zuwies: der breite, langgestreckte
erhielt die Benennung Laliderer Wand, die Pyramide daneben Laliderer
Spitz.
Auf beiden Gipfeln gelang es mir, ziemlich günstige Beobachtungs
und Aussichtsmomente abzupassen, während die Perioden der Nebelverhüllung
und der Schneestürme zur Wanderung von einem auf den anderen hinüber
benutzt wurden. Vom Dreizinkenspitz
auf die Laliderer Wand hinüber benötigte ich eine Stunde, von
dort bis auf den Laliderer Spitz noch
etwas weniger.
Mit den verschiedenen Gipfelbesuchen und dem Aufenthalte auf den Kulminationspunkten
war es bereits ein Uhr nachmittags geworden, als ich zum letzten, langen
Marsche durch die Hochzone des Roßkars und zur letzten, zugleich
bedenklichsten Ersteigung dieses Tages mich anschickte. Von dem steil gegen
Westen abfallenden Laliderer Spitz blickte
ich über die lange, fast ebene Gratstrecke hinweg, auf welcher turmartig
ein paar schroffe, sonst aber nicht sehr bedeutende Zacken fußen,
deren östlicher noch eine Gruppe der wunderlichsten Felsgebilde neben
sich führt, die ,,Steinernen Männchen", etwa fünf bis sechs
Meter hohe, schlanke Säulen und Nadeln, auf einem Riffe stehend, welches
aus den Wänden von Laliders ein wenig hervortritt. Die beiden turmartigen
Zacken stehen gleichfalls unmittelbar über den Laliderer Wänden
und auch von der langen, horizontalen Gratstrecke zwischen ihnen, welcher
ich den Namen ,,Langer Sattel" beilegte, beginnt unmittelbar der riesige
Absturz gegen Norden, während von Süden herauf flaches Schuttfeld
bis auf den Gebirgsscheitel reicht.
Die Zacken auf dem ,,Langen Sattel" vermochten mich nicht zu reizen;
es sind zwar sehr scharfe, kühne Mauerzinnen, wahrscheinlich sogar
unersteiglich, indes von so untergeordneter Bedeutung als Gipfel, daß
ich mich durchaus nicht berufen fühlen konnte, diese Unersteiglichkeit
auf die Probe zu stellen. Anders verhielt es sich mit dem letzten der Gipfel
im nördlichen Roßloch-Kamme: der krumme Kegel, welcher sich
dort emporschwingt, fällt - auch von der Ferne gesehen - als ansehnlicher
Gipfel in die Augen, er tritt in Rivalität mit fast allen übrigen
Zinnen des Roßlochs, und obwohl dem höheren Sonnenspitz ziemlich
nahe stehend, behauptet er doch eine gewissermaßen selbständige
Stellung. Auf ihn hatte auch der Jäger im fürstlichen Jagdhause
mich hingewiesen; er meinte, wenn ich denn durchaus auf alle Spitzen müsse,
so solle ich es nur einmal auch mit jenem im Bockkar versuchen. Vielleicht
erwartete er einen Freundschaftsdienst von ihm!
Einladend sah er nun eben nicht aus. Ein allseitig mauerschroffer,
gelb-rötlicher Turm und inmitten seiner Ostkante, welche augenscheinlich
die einzige Möglichkeit eines Zuganges gewährte, ein sehr frisch
aussehender Abbruch, just an der allersteilsten Stelle. Es war mir lieb,
daß diese Aufgabe zum Schlusse des Tages an mich herantrat; auch
bei größter und unausgesetztester Übung in der Behandlung
der Felsengipfel und ihrer Launen macht sich bis zu einem gewissen Grade
doch ein regelmäßiges Schwanken in Gewandtheit und Selbstvertrauen
geltend; es ist am geringsten am Beginne des Tagewerkes und erreicht erst
im Verlaufe desselben seinen Normalstand oder einen noch höheren -
und [S. 806] ich habe stets gefunden, daß heikle Passagen am besten
bewältigt werden, wenn bereits einige Ermüdung sich fühlbar
macht, die Hast der frischen Kräfte abgestumpft und eine gewisse Gleichgültigkeit
an Stelle der unruhigen Erwägungen und Erwartungen getreten ist.
So verließ ich denn auch diesmal den Laliderer
Spitz ziemlich kühlen Blutes, zunächst froh, daß die
nächste Stunde mir müheloses Dahinschlendern über fast ebenen
Schutt und Plattenboden gestatten sollte, und wenig darum bekümmert,
was dann folgen würde. Um die Hochterrasse des Roßkars zu erreichen,
hatte ich vom Laliderer Spitz ziemlich
weit rückwärts zu gehen, stieg dann über schwach begraste
Felsstufen ab und verfolgte nun meinen Weg in unverändert gerader
Linie gegen Westen. Langsam sah ich die Steinernen Männchen, die beiden
Turmzacken auf dem Langen Sattel zu meiner Rechten vorüberziehen.
Der hügelige Boden des Roßkars erhebt sich auf dieser Strecke
in zwei ausgesprochenen, wenngleich nicht sehr hohen Terrainwellen, welche
weiter abwärts zu flachen Terrassenscheiteln. sich ausbreiten und
steil gegen den Talboden des inneren Roßlochs abfallen, während
sie eine ziemlich tiefe, großenteils bewachsene Talmulde zwischen
sich schließen. Nach Überschreitung der zweiten dieser Terrainwellen
sah ich vor mir die letzte, westliche Mulde der ausgedehnten Hochterrasse
des Roßkars sich ausbreiten, welche unter den Mauern des Bockkarspitz
an den Fuß des Sonnenspitzes sich hinanzieht; es ist das ,,Sonnenkar"
der Generalstabskarte, den Jägern des Hinterautals dagegen unter dem
Namen ,,Bockkarl" bekannt.
Im losen Felsschutte einer breiten, flachen Sinke stieg ich wieder
gegen den Grat hinan; es war einhalb drei Uhr, als ich neuerdings auf diesem
anlangte, in der Scharte zwischen dem Bockkarspitz und dem westlichen der
beiden Türme auf dem Langen Sattel. Und wieder blickte ich über
die schwarzen Wände hinunter auf die grünende Tiefe der Laliderer
Alpe und auf das Ladizer Jöchl, und auf die Falken hinüber, deren
blanke
Felsenkuppeln noch im Sonnenstrahle glänzten, während über
den Wall der Sonnenspitzen herüber schon wieder schwarzes Gewölke
und Schneesturm ins Roßkar sich hereinwälzte. Das gesamte Gepäck
blieb auf der Scharte zurück; die Eisen wurden festgeschnallt, der
Bergstock, welcher in der letzten Stunde kaum mehr mit dem Boden in Berührung
gekommen war, wieder scharf gefaßt; dann ging's aufwärts.
Zunächst war eine stark geneigte Fläche lockeren, bei jedem
Schritte weichen-den Gesplitters zu bewältigen. Bald hatte ich den
Fuß des eigentlichen Felsbaues erreicht und schon fühlte auch
das Eisen wieder die unter dünner Geröllschicht lagernden, tückischen
Platten. Ihre lotrechten oder gar überhängig ausgebauchten Abbrüche
gestatteten nur an wenig Stellen ein Emporklimmen auf schmalen Tritten;
die vorspringenden, zum Festhalten geeignet erscheinenden Auszackungen
des Gesteins lüsten sich meist schon bei bloßer Berührung
ab und ich hatte mich ängstlich davor zu wahren, daß solch ein
abbrechendes Stück nicht mit dem eigenen Körper in unangenehme
Kollision komme.
Nach einer Viertelstunde schon gelangte ich an die verdächtige
und in der Tat' auch sehr bedenkliche Stelle: Die Kante erhebt sich hier
fast senkrecht, [S. 806] links von ihr zeigt das Gemäuer einen augenscheinlich
noch ziemlich frischen Ausbruch rötlichgelber Felsmasse, blanke Plattenschuppen
- kaum von einzelnen Ritzen durchzogen - reihen sich zu querlaufenden Bändern
aneinander, jäh und stufenlos steigen über ihnen die nächsten
Wandabsätze empor; den wenigen aus ihrer festen Masse vorragenden
Splittern und Ecken ist die Haltlosigkeit auf den ersten Blick anzusehen.
Im Anstiege erschien mir das gerade Erklettern des etwa acht Meter hohen
Abbruches als das einfachste und zweckmäßigste Mittel, und es
gelang auch, obwohl nur mit größter Anstrengung und mit der
Gewißheit, diese Stelle im Rückweg nicht mehr passieren zu können;
denn die Steile ist so enorm, daß man den Platz, auf welchen der
Fuß tritt, nicht mehr zu sehen' vermag, die Hände stets vollauf
zu tun haben, am unzuverlässigen Fels nach ,Unebenheiten zu haschen,
diese auf ihre Haltbarkeit zu prüfen und doch rasch eine Wahl zu treffen,
- denn auch der eiserne Tritt lockert sich mit jeder Viertelsekunde; und
ein einziges Weichen des jeweiligen Stützpunktes muß den verwegenen
Kletterer unfehlbar über die schmale Zackenmauer hinausschleudern,
wobei es dann ziemlich gleichgültig ist, ob er turmtief ins Bockkar
oder zehnfach so tief über die Laliderer Wand hinabstürzt. Es
war eine der schlimmsten, bedenklichsten Stellen, denen ich im Karwendel-Gebirge
begegnete. Die Schwindelprobe aber, welche unmittelbar daran sich reihte,
übertraf geradezu alles bis dahin Geschehene.
Kaum hatte ich den Steilabbruch hinter mir und die Schrofen der nächsten
Kantenabstufung überstiegen, da fand ich mich vor eine etwa vier Schritte
lange, horizontale Gratstrecke gestellt, die gleichsam als Brücke
zur neuerlichen Hebung der Gipfelkante sich hinüberzieht. Die Breite
der Schneide beträgt kaum zwei Zoll; links schießt ein jähes
Platt ab, bald in den Steilabsturz zum Bockkar übergehend, rechts
stürzt die Laliderer Wand senkrecht auf den grünen Talgrund hinunter.
Hier zeigte sich so recht handgreiflich die Macht der im Verlaufe eines
anstrengenden Hochgebirgsmarsches gewonnenen Vertrautheit und Gleichgültigkeit
ich hätte niederhocken und über diese Stelle hinwegrutschen können,
- und wäre der Bockkarspitz der erste Gipfel dieses Tages gewesen,
so hätte ich dies sicher und mit verhaltenem Atem getan. Jetzt erschien
mir's nicht mehr der Mühe wert: ich hackte die Eisen auf der Kante
ein, schaukelte den Bergstock in der rechten Hand und schritt über
den luftigen Steg hinweg; und ich konnte mich nachmals nicht entsinnen,
sonderlich viel dabei gedacht. zu haben.
Jenseits begann wieder das Aufklimmen über steile Plattenschrofen,
meist auf der Kante selbst; diese letzte Strecke war, wenngleich ziemlich
schwierig, doch ohne besonders hervorragende Hindernisse. Der Gipfel selbst,
das nach einer halben Stunde schwer errungene Ziel, besteht aus einer äußerst
schmalen, aus mehreren Zacken zusammengesetzten Schneide von sechs bis
acht Schritten Länge. Die Höhe des Bockkarspitz ist etwas geringer
als die der Laliderer Wand und dürfte auf ca. 2600. Meter veranschlagt
werden287.
Die Aussicht, welche eine kurze Spanne Zeit bis zum Hereinbrechen neuer
Wolkenumhüllung und neuen Schneesturms mir noch zu beobachten gestattete,
[S. 808] hatte sich lediglich gegen Nordwesten etwas verändert, wo
sich nunmehr auch der tiefe Einblick in den Talkessel von Ladiz eröffnet
hatte und durch den Aufschluß des Johannestales auch einige Berge
jenseits der Riß sichtbar wurden. Gegen Westen sperrte die gewaltige
Mauer der Sonnenspitzen jeden Ausblick, gab mir aber dafür Gelegenheit,
die Terrainverhältnisse auf ihrem Gratscheitel aufs genaueste zu studieren
und die seinerzeitige Übergangslinie vom Südlichen auf den Nördlichen
Sonnenspitz, den Wartturm von Ladiz, festzustellen288. Einen imposanten
Eindruck machte hier, in unmittelbarer Nähe, dieser letztere mit seinem
flachen Kuppenscheitel und seinem riesigen senkrechten Nordabsturze, aus
welchem in einiger Tiefe unter dem Grat ein abgetrennter, fingerförmig
gekrümmter Felsenzahn von der Größe eines mäßigen
Kirchturmes, stündlich dem Einsturz drohend, herausragt.
Wieder brachen die Wolken über die Felsengrate herein, brodelten
aus unergründlichen Tiefen empor, wieder heulte der Sturm um meine
Felsenzinne und trieb Riesel und Schneeflocken in wirrem Tanze um ihr verwettertes
Haupt. Genug für heute!
Zurück, und vor allem wieder hinab auf den sicheren Schuttboden
des Roßkars! - Ob das auch gelingt? -
Und es gelang, wie so vieles vor-, so vieles nachher. Den jähen
Abbruch der Kante umging ich diesmal in kurzem Bogen nach der Südseite,
wobei auch die schmale Felsenbrücke bei Seite blieb; die Passage an
den fast völlig haltlosen Plattenwänden hin war kaum weniger
bedenklich, für den Abstieg aber geeigneter, als der Heraufweg.
Gegen vier Uhr hatte ich mit dem widerhaarigen Gesellen, der den Namen
Bockkarspitz behalten soll, endgültig abgerechnet und nahm an der
Scharte, welche man als die Bockkar-Scharte bezeichnen kann, mein Gepäck
wieder auf.
Zur Rückkehr nach dem Birschhäuschen wählte ich - statt
des weiten Bogens in die Mitte des Roßkars zurück und von dort
auf der Spur meiner Morgenwanderung hinunter - den geraden Abstieg durch
das Bockkar; es führt hier ein neuer, schön angelegter Jagdsteig,
dessen Anfang freilich hier oben, in der unbegrenzten Schuttwüste,
erst gesucht sein wollte. Im geraden Marsche über die sauftgeneigten
Geröllfelder, dann über schwach begrünte Plattenhügel,
aus welchen hier und da ein plattwandiger Terrassenabsatz vorspringt, gelangte
ich bald an die ersten Anfänge der Krummholzregion. Ich bemerkte hier,
jenseits einer Felsrunse, eine nach dem Schuttboden hart am Fuße
der Sonnenspitzwände hinlaufende Pfadspur, wußte aber wohl,
daß ich nach jener Seite hinüber nichts zu suchen habe, und
lugte scharf gegen links aus. Auch hier zeigten sich sehr schwache Wegspuren,
und jenseits eines ziemlich bedeutenden, das Berggehänge durchsetzenden
glatten Wandabsturzes wieder bewachsener Boden - augenscheinlich die Krummholzfläche,
welche bis zur Talsohle, auf welcher das Birschhaus steht, sich hinabstreckt.
Ich lavierte daher dort hinüber und fand an der etwas verdächtigen
Plattenwand zu meinem Vergnügen eine vollständige künstliche
Weganlage, durch eingehauene Tritte und quer über- [S. 809] gelegte,
mit Rasen bedeckte Stangen hergestellt; freilich waren, wie dies regelmäßig
der Fall zu sein pflegt, die hier von der Natur gebotenen Haltpunkte genügend,
um auch ohne solche Anlage den Übergang zu gestatten. Jenseits schlängelte
sich der nunmehr sehr deutliche Pfad auf steinigem Grasboden zu einem grünen
Terrassenabsatze empor und trat von diesem in die jenseitige Einbuchtung
des Berggehänges über. In langen Serpentinen zog er sich dann
zutal, bald über Wiesplätze, bald an rauhem, schrofigem Gehänge
hin, meist aber durch hohe Legföhrendickung, deren reicher Vorrat
an großen blauen Heidelbeeren als erwünschtes Supplement des
kargen, in Aussicht gestellten Abendmahles noch gehörig ausgenutzt
wurde und mich erst nach sechs Uhr an das Ufer des Roßkarbaches und
zum Birschhäuschen zurückkehren ließ. Bei ununterbrochenem
Marsche könnte letzteres von der Bockkarscharte aus in eineinhalb
Stunden leicht erreicht werden.
Bald waren die Vorbereitungen zur zweiten Nacht im Roßloch getroffen;
zum warmen Kaffee wurde ein Teil des noch übrigen Brotes verzehrt,
und allzu frühe mußte dem Appetite Einhalt getan werden, um
auch für den kommenden Morgen noch etwas übrig zu behalten. Durch
die Erfahrung der verflossenen Nacht belehrt, verzichtete ich diesmal völlig
auf ein Bett, schürte dafür auf dem Herde ein tüchtiges
Feuer an, welchem ein von außen hereingeschleppter, mächtiger
Legföhrenstamm für die ganze Nacht Nahrung zu geben versprach,
und setzte mich hart daneben hin. Der Sonnenglanz, welchen die letzte Abendstunde
ins Tal hereinsandte, war auf den bleichen Häuptern seiner Felsumwallung
bald erloschen; Dämmerung und Dunkel senkt sich nieder, draußen
rauscht der Bach, drinnen knistert und prasselt ein lustiges Feuer, und
der es emsig schürt und dabei kauert, wie ein den Grüften des
Gebirges entstiegener Erdgeist - dem die Zinnen der Laliderer Wände
heute vergebens die Zähne gewiesen und der morgen mit ihrem noch ungebändigten
Gegenüber sich zu messen gedenkt - er kennt für jetzt keine andere
Sorge und keinen anderen Gedanken, als daß es ihm recht warm werde,
und wie gut eine Pfanne Schmarrn schmecken werde am nächsten Abend
- vorausgesetzt, daß er ihn erlebt.